Mit eintägiger Verspätung kommt nun auch mein Beitrag zur Accessibility Blog Parade. In den letzten Wochen sind auf dem MAIN_Blog jede Menge aufschlussreiche und interessante Beiträge “über barrieren im netz” erschienen. Jan Eric Hellbusch hat in seinem Beitrag “Sinn für Barrierefreiheit” erklärt, was er unter Barrierefreiheit versteht. Wer wissen möchte, wie man sie im Internet umsetzen kann, dem sei sein Beitrag “Strukturelle Navigation: Beispiel der Gebrauchstauglichkeit” empfohlen.
Ich bin in dieser Hinsicht viel zu wenig Experte, um hier noch erhellende Ergänzungen vornehmen zu können. Ich habe mir aber beim Lesen der verschiedenen Beiträge die Frage gestellt, warum die meisten Webseiten den Anforderungen so gar nicht entsprechen und deshalb vielen Menschen den Zugriff auf ihre Seiten erschweren bzw. verunmöglichen? Dahinter steckt für mich die Frage nach der Motivation. Weshalb ist bei der Gestaltung einer Website für die einen Barrierefreiheit ein Thema und für die anderen nicht? Welche Motive gibt es?
Nachdem dieses Blog im Kunst- und Kulturbereich angesiedelt ist, lag es für mich nahe, mich mit meiner Frage auf diesen Bereich zu beschränken. Im ersten Schritt habe ich mir einige Internetauftritte von Theatern und Museen angeschaut. Ich habe Seiten gefunden, die den Erfordernissen entsprechen (die Minderheit) und welche, die die entsprechenden Regeln nicht einhalten (die Mehrheit).
Barrierefreiheit aus Mitleid
Bei einigen dieser Häuser habe ich angerufen und die Frage gestellt, warum die Website barrierefrei oder eben nicht barrierefrei gestaltet sei. Recht schnell ist mir aufgefallen: Die Antworten entsprechen dem, was ich als Political Correctness bezeichnen würde. Und das unabhängig davon, wie die Seiten jeweils gestaltet sind. Der Tenor, den ich aus den Antworten herausgehört habe, war – und das ist jetzt meine subjektive Einschätzung: Mitleid.
Meine Vermutung war nun, dass ich diese Antworten erhalten hatte, weil man mich nicht kannte. Ich habe deshalb meine Kontaktliste nach Menschen durchsucht, die in Kultureinrichtungen arbeiten und nichts mit dem Thema Barrierefreiheit zu tun haben. Mit zweien kam ich ins Gespräch. In beiden Einrichtungen gab es noch keine barrierefreie Website, Barrierefreiheit war bzw. ist aber ein Thema. Im ersten Fall gab es Druck “von oben”, wobei das “oben” vereinfacht gesagt die öffentliche Hand ist. Im zweiten Fall war der Auslöser für die Beschäftigung mit dem Thema die Tatsache, dass andere Kultureinrichtungen “das auch machen”.
Barrieren in unseren Köpfen
Zum oben angesprochenen Mitleid kommen also zwei neue Aspekte hinzu. Auf der einen Seite Vorgaben der Politik und der öffentlichen Verwaltung (teilweise in Form von gesetzlichen Vorgaben) und auf der anderen Seite der Ansatz, mit dem Thema Barrierefreiheit die eigene Reputation zu verbessern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich in meinen (keineswegs repräsentativen) Gesprächen auf insgesamt drei Gründe gestoßen bin, sich mit dem Thema Barrierefreiheit zu beschäftigen:
- Mitleid
- “Druck von oben”
- Reputationsgewinn
Auf das Thema Mitleid stößt man in unseren Breitengraden eigentlich fast immer. Es ist unsere Art und Weise, mit behinderten Menschen umzugehen. Sie verdienen unser Mitleid, aber glücklicherweise gibt es den Staat, der sich um diese “armen” Menschen kümmert. Und da uns diese Menschen so leid tun, zahlen sie sehr häufig auch nur einen reduzierten Eintrittspreis.
Schaut man sich den angelsächsischen Raum an, findet man dort einen ganz anderen Zugang. Hier versucht man, Menschen mit Behinderungen die gleichen Chancen zu bieten wie Menschen ohne Behinderungen. Das heißt, ich überlege mir, was ich tun kann, damit behinderte Menschen die gleichen Voraussetzungen haben wie alle anderen.
Wir haben die Solidarität mit behinderten Menschen also sehr viel mehr institutionalisiert und überlassen diese Aufgabe dem Staat. Wir selbst sind dazu gar nicht mehr in der Lage. Der tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg hat das vor wenigen Tagen in einem Zeitungs-Interview – allerdings in einem anderen Zusammenhang – so formuliert:
“Ich habe den Eindruck, dass wir nur fähig zur Solidarität sind, wenn – entschudligen Sie den Ausdruck – uns jemand in den Allerwertesten tritt. In dem Moment, wo das aufhört, hört auch die Solidarität auf.”
Da erscheinen gesetzliche Regelungen, wie ich sie oben angesprochen habe, als logische Konsequenz, oder?
Interessant ist in meinen Augen der Begriff der Reputation, der in diesem Zusammenhang gefallen ist. Eigentlich müsste das ja bedeuten, dass hier eine gewisse Sensibilisierung stattfindet. Die Frage ist nur, ob dieser Druck in die richtige Richtung ausgeübt wird. Ist dieser Druck nur das Resultat von Mitleid, dann wird sich dadurch höchstens der Druck auf die Politik erhöhen, mehr für behinderte Menschen zu tun (z.B. auch weitere gesetzliche Vorgaben, was die Barrierefreiheit von Webseiten betrifft). Damit hätten wir das für uns unangenehme Thema wieder erfolgreich delegiert.
Das heißt aber für mich, dass wir es hier zwar durchaus mit “barrieren im netz” zu tun haben, die wirklichen Barrieren befinden sich aber in unseren Köpfen. Und so lange wir die nicht zu beseitigen beginnen, werden wir wohl weiterhin auf zahlreiche Webseiten stoßen, die nicht barrierefrei gestaltet sind. Im Kunst- und Kulturbereich, aber auch in vielen anderen Bereichen.
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