Als es hier vor ein paar Tagen um die Frage ging, ob sich Kunst und Kommerz ausschließen, forderte Simon A. Frank in einem Kommentar und auf seinem Blog Kunst ist auch Kaktus eine kulturpolitische Grundsatzdiskussion, indem er die Ansicht vertrat, es sei mittlerweile gar nicht mehr klar, was der kulturpolitische Auftrag sei, den Kunst und Kultur zu erfüllen hätten.
Man muss sich nur anschauen, nach welchen Kriterien die öffentliche Hand Fördergelder vergibt, um sich dieser Forderung anschließen zu können. Sehr anschaulich ist das Beispiel, das der Leiter des Zentrums für Kulturforschung Andreas Joh. Wiesand, in einem Beitrag der aktuellen Ausgabe der kulturpolitischen Mitteilungen erwähnt. Die konservative Prager Stadtregierung habe, so schreibt er unter der Überschrift “Götterdämmerung der Kulturpolitik?“, die kommunale Kulturförderung “reformiert” und damit einen Weg eingeschlagen, der nichtkommerzielle Kultureinrichtungen benachteiligt:
“Die Höhe der städtischen Subventionen richtet sich nun nicht mehr nach künstlerischen oder kulturpolitischen Kriterien, sondern danach, wie erfolgreich eine Einrichtung im vergangenen Jahr gewirtschaftet hat. Je mehr Eintrittskarten zum Beispiel durch ein Theater in der vergangenen Saison verkauft wurden, desto mehr Geld erhält die Bühne von der Stadt in der folgenden Spielzeit. Dieses Kriterium gilt dann für freie Ensembles ebenso wie für Großbetriebe der Kulturwirtschaft: Ein kleines, experimentelles Theater wird also behandelt wie eine private Musical-Bühne, die sich an ein Massenpublikum richtet.” (Kulturpolitische Mitteilungen • Nr. 122 • III/2008, S. 51)
Nicht gut, werden wahrscheinlich die meisten denken. Wobei das “nicht gut” natürlich impliziert, dass wir das Ziel von Kulturpolitik nicht in der Steigerung der Besucherzahlen sehen. Was aber, wenn es gar nicht mehr so sehr um kulturelle Bildung und ähnliche Dinge geht, sondern wirklich um handfeste wirtschaftliche Interessen?
Wiesand kann sich so eine Entwicklung auch bei uns durchaus vorstellen und begründet das mit dem “dramatisch gewachsenen Interesse für die so genannten Creative Industries”. Mit diesem Begriff verbinde die Politik sehr weitreichende Erwartungen auf veränderte gesellschaftliche Arbeits- und Kommunikationsformen und zugleich auf kontinuierliches Wirtschaftswachstum, liefert Wiesand auch gleich die Erklärung dazu.
An diesem Punkt besteht die Gefahr, dass wir diese Denkweise der Politik als völlig unsinnig abtun und uns damit zufrieden geben, festzuhalten, wie unfähig PolitikerInnen heute seien. Nur hilft uns das nicht wirklich weiter. Hier zeichnet sich Wiesands Artikel aus, der nämlich an dieser Stelle konstatiert, dass unser Problem die vielen verschiedenen Begrifflichkeiten sind, die wir mehr oder weniger beliebig verwenden. Kulturwirtschaft, Kreativsektor, Kreativwirtschaft, Creative Industries… was verstehen wir eigentlich darunter? Hört man PolitikerInnen zu, dann gewinnt man schnell den Eindruck, dass das irgendwie alles das Gleiche ist. Und ich selbst ertappe mich auch immer wieder mal dabei, dass ich sie nicht sauber verwende. Das Ergebnis sind dann solche “Reformen” wie in Prag.
Wiesand versucht sich im Folgenden nicht nur an einer Unterscheidung der Begriffe, sondern er macht sich gleichzeitig auch noch Gedanken darüber, was das für die Politik bedeutet? Welche Ebenen der Politik (von regional bis global) sind angesprochen und welche Aktionsfelder werden davon tangiert? Bildung, Arbeitsmarkt, Technologie, es gibt sehr viele Felder, in denen PolititkerInnen aktiv werden können, wie Wiesand in Übersicht 1 (S. 52) zeigt.
Bezeichnend ist, dass der Begriff, der am häufigsten benutzt wird, nämlich der der Creative Industries eigentlich am unklarsten ist. Zumindest gebe es auf europäischer Ebene noch keine Einigung, was das denn eigentlich sei, hält Wiesand fest.
Schaut man sich an, mit welchen Begrifflichkeiten welche Ziele verfolgt werden (arbeitsmarktpolitische, wirtschaftliche, technologische, kulturelle, etc.), dann wird auch schnell klar, dass es heute nicht mehr damit getan ist, ein paar Kunst- und Kulturprojekte zu fördern und das dann als Kulturpolitik zu bezeichnen.
Kulturpolitik ist heute viel mehr (vielleicht war es das früher auch schon?), Wiesand spricht beispielsweise die Strukturpolitik an:
“So sind etwa für Bildende Künstler eine lebendige Szene mit Galerien, Werkstätten oder Kunstmagazinen ebenso wichtig wie öffentliche Qualifizierungs- und Ausstellungsmöglichkeiten oder das Engagement von Kunstvereinen. Private Firmen der Kulturwirtschaft stehen also in – im besten Fall: komplementären – Wechselbeziehungen mit Leistungen öffentlicher Kultur und Medienbetriebe, solchen von Förderern und Bildungseinrichtungen, mit individuellen oder bürgerschaftlichen Initiativen u.a.m. Es gibt Beispiele dafür, dass sich solche Querverbindungen durch das Zusammenführen verschiedener politischer Zuständigkeiten unter Beteiligung oder sogar Federführung der Kulturpolitik fördern lassen, auf kommunale Ebene naturgemäß durch eine kulturfreundliche Stadtentwicklungspolitik.” (S. 53)
Hier zeigt sich, dass die Idee der EU, Kultur als eine Querschnittspolitik anzusehen, gar nicht so unsinnig ist. So klug der Gedanke ist, derzeit überwiegt – zumindest bei mir – noch die Angst, dass Kunst und Kultur dabei völlig unter die Räder kommen.
Wenn Kunst und Kultur aber als etwas zu verstehen sind, was sich quer durch die verschiedenen Bereiche unseres Systems, unserer Gesellschaft ziehen, stellt sich die Frage, ob wir überhaupt noch von DER Kulturpolitik sprechen können? Wirtschaftspolitik ist schon heute nicht mehr von den Themen Forschung, Technologie und Innovation zu trennen. Nur wie ist das mit der Kulturpolitik? Sollte man die nicht mal aus ihrer Ecke herausholen und eine Debatte darüber beginnen, was wir darunter verstehen, welche Ziele sie verfolgt und welche Auswirkungen das dann auch auf unser Fördersystem hat? Ob dann etwas Ähnliches wie in Prag dabei herauskommt oder etwas ganz anderes, hängt auch von uns ab.
Wir müssen da übrigens gar nicht bei Null anfangen. Mir fällt in diesem Zusammenhang das eBook “Remixing Cities” von Charles Leadbeater ein, über das ich schon vor ein paar Monaten einen Blogbeitrag geschrieben habe. Die “kulturfreundliche Stadtentwicklungspolitik”, von der Andreas Wiesand spricht, geht genau in diese Richtung.
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