Als Martin Oetting vor rund zwei Wochen einen offenen Brief an manche Werbekreativen in Deutschland schrieb, störte mich darin der Satz:
“Denn wer für Passion und Begeisterung sorgt, aber keine Marktanteile bringt, der soll Künstler werden, nicht jedoch im Marketing arbeiten.”
Meine Ansicht zu dieser Aussage habe ich in einem eigenen Blogpost zusammengefasst, zu dem sich Martin Oetting noch einmal in einem Kommentar zu Wort gemeldet hat. Darin stellt er fest, dass er “Künstler nicht schlechtreden” wolle. Oetting weiter:
“Aber mein Verständnis von Kunst, sehr knapp ;-), ist dieses: Kunst erstellt jemand zunächst einmal ganz vornehmlich, um einem inneren Antrieb Ausdruck zu verleihen – um dem Wunsch, einer Empfindung Gestalt, Form, Raum, Klang zu geben, nachzukommen. Und dies passiert – so hoffe ich zumindest – zunächst mal völlig unabhängig von kommerziellen Erwägungen. Es ist ein inneres Anliegen, keine Verkaufsveranstaltung.”
Das sehe ich ähnlich. Da wird etwas geschaffen, was aus einem “inneren Anliegen” heraus entsteht. Oetting stellt dann fest, dass derjenige, der ausschließlich das, was er in seinem offenen Brief als Punkt 1 anführt (“Geschichten, Ideen, Konzepte erfinden, die die Massen oder auch die Nischen elektrisieren.”), leiste, als Künstler angesehen werden könne.
Im Kommentar schreibt Oetting weiter:
“Wenn er aber in einer Agentur arbeitet und seine tolle Idee nur sich selbst, nicht jedoch das Produkt verkauft, für das er arbeiten soll (Punkt 2: “Bei all dem müssen sie jedoch sicherstellen, dass diejenigen, die begeistert sind, später auch kaufen.”), dann hat er eben seine Aufgabe nicht erfüllt.
Wer aber Werber in einer Agentur ist, der sollte sich nicht als Künstler missverstehen, oder allein darauf achten, ob seine Arbeit Menschen berührt. Sie muss auch das Produkt verkaufen, welches in diesem Fall eben nicht die Kreativarbeit selbst, sondern ein Haarwaschmittel, ein Auto, oder eine Krankenversicherung ist.”
Da kommen wir an einen ganz spannenden Punkt. Martin Oetting hat die Arbeit der Werbebranche in zwei Arbeitsschritte aufgeteilt:
- den kreativen Teil, in dem es darum geht, Ideen zu entwickeln, die die Menschen begeistern und elektrisieren
- den Verkaufsteil, in dem es darum geht, das kreative Werk unter die Leute zu bringen, zu verkaufen.
Was bedeutet das? Bleiben wir in der Werbebranche. Um diese zwei Arbeitsschritte durchführen zu können, gibt es drei Varianten, wie dies geschehen kann:
- Für Arbeitsschritt 1 (den kreativen Part) stehen KünstlerInnen zur Verfügung, den Verkaufsteil übernehmen dann diejenigen, die gut im Verkaufen sind.
- Beide Arbeitsschritte werden von KünstlerInnen durchgeführt. Sind diese im Verkaufen schlecht, wird sich das Produkt nicht verkaufen lassen, sind sie gut, ist es kein Problem.
- Für beide Arbeitsschritte stehen nur “Vertriebler” zur Verfügung. Zeichnen sich diese durch Kreativität und künstlerische Qualität aus, werden sich die Produkte gut verkaufen lassen, ansonsten sind sie darauf angewiesen, künstlerisch “schlechte” Produkte zu verkaufen.
Ähnlich ergeht es allen Branchen, in denen künstlerische Fähigkeiten verlangt werden. Schaut man sich diese Branchen an, kann man feststellen, dass der erste Arbeitsschritt häufig nicht von KünstlerInnen durchgeführt wird. Das ist von allen Seiten ungeschickt, auf der einen Seite von der jeweiligen Branche, die auf die qualitaiv hochwertige Arbeit von KünstlerInnen verzichtet, andererseits auch von den KünstlerInnen selbst, die hier mit ihrer Arbeit ein entsprechendes Einkommen generieren könnten.
Würde man hier arbeitsteilig vorgehen, hätten beide Seiten etwas gewonnen. Womit ich zu den KünstlerInnen kommen möchte. Wenn jemand aus innerem Antrieb heraus ein künstlerisches Werk schafft, dann ist das Kunst. Ist die Person, die dieses Kunstwerk geschaffen hat, jetzt aber KünstlerIn?
Ja und nein. Wenn ich ein Kunstwerk schaffe, dann kann ich mich auch als KünstlerIn im Sinne meiner künstlerischen Tätigkeit bezeichnen. Etwas anderes ist es aber, wenn ich beschließe, davon zu leben, es zu meinem Beruf zu machen. Dann reicht der erste der beiden von Martin Oetting beschriebenen Arbeitsschritte nicht mehr aus. Erfolgreich in meinem Beruf als KünstlerIn bin ich erst dann, wenn ich für meine künstlerische Tätigkeit Geld bekomme, um davon leben zu können. Ob das nun Förderungen sind oder ob ich meine Kunst an Private verkaufe, spielt dabei keine Rolle. Das heißt, ich muss mich um genau das kümmern, was Martin Oetting als Arbeitsschritt 2 bezeichnet hat, das Verkaufen.
Insofern hat Martin Oetting Recht gehabt mit seinem Bild vom Künstler, denn es bezog sich alleine auf den künstlerischen Akt (so ich ihn da richtig verstanden habe). Wenn Sie die Kunst zu Ihrem Beruf gemacht haben oder machen wollen, dann dürfen Sie an diesem Punkt nicht stehen bleiben. Entweder Sie übernehmen das Verkaufen Ihrer Kunstwerke selbst oder Sie beauftragen jemanden damit, so wie ich es in Variante 1 auch für die Werbebranche beschrieben habe.
Beruf KünstlerIn kann aber auch heißen, dass Sie in all diesen Branchen aktiv werden können, die künstlerische bwz. kreative Leistungen dringend benötigen. In “beruflicher” Hinsicht ist das sogar zu empfehlen, schließlich schränken Sie Ihren möglichen Tätigkeitsbereich viel weniger ein.
Ob Sie Ihre Tätigkeit als Passion oder als Beruf ansehen, müssen Sie selbst entscheiden. Wichtig ist nur, dass Sie sich über die Konsequenzen im Klaren sind. Etwas gerne und aus einer Leidenschaft heraus zu tun, heißt noch lange nicht, dass man damit beruflichen Erfolg erzielen kann. Der stellt sich erst ein, wenn Sie auch für Arbeitsschritt 2 eine gute Lösung gefunden haben.
Um noch die Frage aus der Überschrift zu beantworten: wir können statt des “oder” auch ein “und” einsetzen. Nur eines ist klar: ohne Passion geht gar nichts.
PS: Eine ähnliche Sichtweise vertritt Adam Thurman in seinem Blogpost “Stop Lying To Yourself” auf “The Mission Paradox Blog”.
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