Der Preis des technischen Fortschritts: Fressen die großen Kulturbetriebe die kleinen Häuser?

In meinem letzten Blogbeitrag habe ich über die Wiener Staatsoper und ihre Übertragungen per Livestream geschrieben. Mit der digitalen Premiere, der Übertragung des Rosenkavaliers, war man dort zufrieden, „ein paar hundert Streams habe man verkauft“, verkündete das Haus auf Nachfrage.

Während die Wiener Staatsoper dem Modell der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker folgt, orientiert sich die Royal Opera mehr an der Metropolitan Opera und bietet Übertragungen in ausgewählten Kinos an.

Michael Kaiser, Leiter des John F. Kennedy Center for the Performing Arts nimmt diese Entwicklung zum Anlass, um in einem Blogbeitrag nach der Zukunft von Kunst und Kultur zu fragen. Gleich seine erste Frage hat es in sich:

„Are we witnessing a major transition in the arts from regional organizations to fewer mega-organizations with the sophistication to mount large scale productions, to market them well and to raise large sums of money?“

Kaiser konstatiert, dass der technologische Fortschritt es möglich macht, Opernübertragungen in Kinos oder via Internet in hoher Qualität zu folgen. Und das zu Preisen, die weit unter denen liegen, die ein regionales Opernhaus für einen Besuch verlangt.

Wenn wir wirklich gerade den Beginn  einer solchen Übergangsphase erleben, in der ein paar Opernhäuser den Sprung auf die globale Ebene schaffen, dann könne das unter Umständen verbunden sein mit dem Ende der regionalen Einrichtungen, die nicht mehr in der Lage seien, sich finanziell über Wasser zu halten.

Ihnen drohe, so Kaiser, ein ähnliches Schicksal wie der New York City Opera, deren Website vom traurigen Ende zeugt.

Kann uns das auch passieren? Kurz- und mittelfristig vermutlich nicht, denn Kunst und Kultur funktionieren hier nach anderen Regeln. Aber langfristig kann dem Kunst- und Kulturbereich das drohen, was in anderen Bereichen schon passiert ist: Die Großen fressen die Kleinen.

Noch besteht aber keine unmittelbare Gefahr, denn erstens sieht das Finanzierungsmodell bei uns ganz anders aus und zweitens werden die Übertragungsangebote der großen Häuser noch nicht in großem Stil angenommen, wenn man von der Bayerischen Staatsoper absieht, die ihren Livestream aber kostenlos anbietet. Natürlich können wir jetzt darüber diskutieren, ob die Qualität eines Livestreams mit der vor Ort mithalten kann. Fakt ist aber, dass eine solche Argumentation schon des öfteren gescheitert ist. Auch bei der Schallplatte wurde man nicht müde, deren Qualität hervorzuheben. Trotzdem wurde sie von der CD verdrängt, die wiederum mit den Streamingangeboten nicht mehr lange wird konkurrieren können.

Interessant ist auch die Frage Kaisers, ob es zu einem Wettbewerb zwischen den Global Playern kommen kann, der dann zu sinkenden Preisen in den Kinos oder vor dem Bildschirm zu Hause führt. Und das angesichts der Tatsache, dass die Bayerische Staatsoper schon heute kostenlos streamt. Bleibt die Frage nach der Qualität. Wenn die großen Häuser auf den finanziellen Erfolg ihrer Übertragungen angewiesen sind, müsste eigentlich die Bereitschaft, ein künstlerisches Risiko einzugehen, abnehmen. Ich kenne leider keine Spielplananalysen, aber es wäre interessant herauszufinden, ob wir uns nicht bereits in einer solchen Entwicklung befinden?


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7 Antworten zu „Der Preis des technischen Fortschritts: Fressen die großen Kulturbetriebe die kleinen Häuser?“

  1. Kann man aber auch noch in ganz andere Richtungen spinnen. Da die Übertragung selbst immer einfacher wird, werden die Dampfer mehr noch damit kämpfen müssen, nicht die Vielfalt widerspiegeln zu können. Relativ schnell sind sie auf dieser Ebene nur noch „Einer von Vielen“ und haben die Chance den gesamten Betrieb moderner zu gestalten, hin zu einer Art CoCreationSpace oder, würde diese gestreamte Bühne tatsächlich die großere Rolle spielen, an dieser Entwicklung untergehen, ein digitales Signal lässt sich schließlich kopieren und immer wieder abspielen.

    1. Ja stimmt, in diese Richtung könnte die Entwicklung auch gehen. Aber ich denke, das hängt ganz stark von den Zielen ab, die man mit solch neuen Formaten anstrebt. Ich finde es in dieser Hinsicht sehr spannend, dass die meisten solche Angebote als zusätzliche Einnahmequelle verstehen, während die Bayerische Staatsoper da einen ganz anderen Weg geht.

      Vielleicht macht es Sinn, die unterschiedlichen Standpunkte hier mal zu Wort kommen zu lassen. Interessant ist aber auch, wie die „kleinen“ Häuser diese Entwicklung sehen. Ist das für sie eine Art Unterstützung, die dazu führt, dass sich mehr Menschen für – in diesem Fall – die Oper interessieren oder ist das ein Konkurrenzangebot?

  2. Ich sehe diese Entwicklung skeptisch. Bei den Streamingdiensten der Tonaufnahmen verdienen jene Firmen, die den technischen Zugang zur Verfügung stellen. Dass die KünstlerInnen, die den Content generieren, kaum einen Rückfluss erfahren, ist nun schon recht gut zu sehen. Sogar unsere KollegInnen aus dem Popbereich wachen auf.

    Beim Videostream bzw. On-Demand-Services der Opernhäuser basteln sich alle Anbieter ihre eigene Lösung, d.h. tätigen mehr oder weniger hohe Investitionen. Wenn man eine gute, nicht-statische Aufnahme einer Oper ins Netz stellt, so ist der Aufwand groß, ein künstlerisch befriedigendes Ergebnis zu erzielen. Ich bezweifle, dass man damit genug Erlöse erwirtschaften kann, um diese Dienstleistung am Leben zu erhalten.

    Gratis streaming? Musikvermittelnd eine gute Sache, aber dahinter könnte man folgende Problematik vermuten: Lieber Künstler, schenk mir Dein Werk, das Internet ist ja so eine gute Promotion. Ich hörte in den vergangenen Jahren schon so viele Promotionargumentationen, die in den wenigsten Fällen den betroffenen KünstlerInnen dem Wert entsprechend geholfen hätten.

    Also warum soll eine Opernaufführung gratis sein?
    Warum soll das Hören einer ganzen Musikdatenbank kostenlos, oder ohne Werbung für ein paar Euro zu haben sein?
    Stream und cloud – wer soll die Inhalte produzieren, wenn die Geschäftsmodelle keinen oder zu wenig Rückfluss generieren?

  3. @mikebreneis: Um etwas ketzerisch darauf zu antworten. Es gab noch nie eine Zeit, in der die KünstlerInnen die waren, die finanziell von ihrer Arbeit profitiert haben. Die, die damit verdient haben, kämpfen ums Überleben, weil sich die Distributionswege verändert haben und nun plötzlich andere ihr Geld damit verdienen: Spotify statt EMI. Ob es sich rechnet, solche Streams kostenpflichtig anzubieten oder wie die Met in die Kinos zu gehen, zeigt der Blick in die Bilanzen. Die Met verdient damit wohl mittlerweile Geld, alle anderen stecken wohl noch in der Investitionsphase. Ob da dann wirklich mal ein Gewinn herausspringt, vermag ich nicht zu prophezeien.

    Wenn jemand seinen Stream kostenlos zur Verfügung stellt, dann wird er sich was dabei gedacht haben. Grundsätzlich sehe ich das neutral, denn es gibt gute Gründe, die eigenen Inhalte gratis zur Verfügung zu stellen. Auch ich stelle zum Beispiel mein Wissen kostenlos in diesem Blog zur Verfügung und kann nach ein paar Jahren sagen, dass das durchaus Sinn macht.

    Es gibt sie also durchaus, die Geschäfts- und Erlösmodelle. Aber wir können im Moment gar nicht so schnell neue Modelle entwickeln wie alte kaputt gehen.

  4. […] Henner-Fehr fragt in einem aktuellen Artikel, ob die digitale Verbreitung von Opernaufführungen und anderen Kulturveranstaltungen zu einer […]

  5. Es ist einfach so, dass große Unternehmen einen größeren finanziellen Spielraum besitzen. Falls es mal eine Sache nicht gut läuft, kann dieses Unternehmen trotzdem weiterhin bestehen. Bei kleinen Firmen kostet das meist die eigene Existenz.

  6. @bpb management: Finanziell gesehen ist das sicher richtig, aber dafür haben die großen Kulturbetriebe mit anderen Problemen zu kämpfen. Aber meist fehlen Ideen, nicht so sehr das Geld.

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