Birgit Mandel, Professorin für Kulturmanagement und Kulturvermittlung an der Universität Hildesheim hat in ihrem Beitrag “Kulturmanagementforschung, Ziele, Fragestellungen, Forschungsstrategien” für das aktuelle Jahrbuch Kulturmanagement gefordert, Kulturmanagement als Gestaltung kultureller Kontexte, die über den Kunstbetrieb hinausgehen, zu verstehen (siehe dazu mein Blogpost “Kulturmanagement aus Forschersicht: gestern, heute, morgen“).
Das passt zu dieser Aussage:
“Die Art und Weise, wie KulturmanagerInnen ihr Umfeld begreifen, hat Einfluss auf ihre professionelle Identität, Denkweise und Handlungslogik.”
Dieser Satz findet sich in der Ankündigung der Arbeitstagung des Fachverbandes für Kulturmanagement, die am Wochenende in Wien stattfand, zum ingesamt vierten Mal. Unter dem Motto “Theorien über den Kultursektor und ihre Relevanz für das Kulturmanagement” trafen sich rund 60 KulturmanagerInnen, eine wie sich zeigte ideale Größe, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Für Gespräch und Diskussionen stand ausreichend Zeit zur Verfügung, denn im Rahmen der zwei (eigentlich eineinhalb) Tage gab es “nur” drei Vorträge. Ich muss gestehen, dass ich davon positiv überrascht worden bin, denn normalerweise reiht sich bei einer solchen Veranstaltung Vortrag an Vortrag und für Gespräche bleibt kaum Zeit.
Dass zwischen Kunst und Kulturmanagement ein Spannungsverhältnis besteht, ist keine neue Erkenntnis. Während es die Aufgabe der KünstlerInnen ist, Kunst zu produzieren, sind KulturmanagerInnen dazu da, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Immer häufiger geht es dabei vor allem um Geld. Geld, das immer seltener vorhanden ist, was zu der Forderung geführt hat, der Kunst- und Kulturbereich müsse sorgsam mit Geld umgehen. Gefordert wird der effiziente Umgang mit den finanziellen Mitteln, was letzten Endes zu einer Ökonomisierung dieses Bereiches führt, wie Michael Meyer, Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre und Leiter der Abteilung für Nonprofit-Management an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU), in seinem Eröffnungsvortrag feststellte.
Während die Anwendung betriebswirtschaftlicher Methoden für profitorientierte Unternehmen seit jeher selbstverständlich ist, gehören Begriffe wie Effektivität oder Effizienz nun auch zum Wortschatz im NPO-Bereich, dem ein Großteil der Kulturbetriebe zugerechnet werden kann. Verschiedene Konzepte versuchen dem Anspruch, einer betriebswirtschaftlichen Logik zu folgen, gerecht zu werden. In den Augen Meyers hat sich das Konzept des Managerialismus am ehesten bewährt (andere ähnliche Konzepte sind beispielsweise unter den Bezeichnungen “Professionalization” oder “Commercialization” bekannt).
Die Folie (hier eine frühere Präsentation von Michael Meyer, die das Konzept verdeutlicht) macht deutlich, dass das Konzept, anfangs wahrscheinlich berechtigt, sich nun in eine Richtung entwickelt hat, die die Ökonomisierung in übertriebener Form in den Vordergrund stellt. Nun ist es ja nicht ganz falsch, wenn sich Kulturbetriebe um so etwas wie Effizienz oder Effektivität bemühen, aber wenn es nur noch darum geht, besteht die Gefahr, dass Kennzahlen die Kunst dominieren. Was zu der von Meyer in weiterer Folge gestellten Frage führt, ob es den Managerialismus als Form ohne ökonomische Inhalte geben kann? Also quasi Managerialismus in homöopathischen Dosen.
Meyer gibt sich hier allerdings pessimistisch. “Der Managerialismus hat sich durchgesetzt”, ist er überzeugt und skizziert eine Entwicklung, in der nicht-ökonomische Ziele nach und nach durch ökonomische ersetzt werden (sofern das nicht eh schon passiert ist). Bezogen auf den Kunst- und Kulturbereich sind dann die KulturmanagerInnen die Sachwalter dieser Ökonomisierung, die sich nicht mehr aufhalten lässt und mich an die Kernthesen in Jeremy Rifkins Klassiker Access
Für mich neu war das, was Alfred Smudits, der als ordentlicher Professor das Institut für Musiksoziologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien leitet, vortrug. “Kulturmanagement als Gatekeeping-Prozess – Kulturmanagement aus der Sicht des Production of Culture-Ansatzes” lautete der Titel seines Vortrags, in dem er vor allem den in den USA in den 1970er Jahren entstandenen Ansatz vorstellte.
“Unter Produktion wird bei diesem Ansatz nicht nur die Produktion im engeren Sinn, also die Kreation bzw. Herstellung oder Realisierung verstanden, sondern alle Akteure, Institutionen und Handlungen, die am Produktions-, Vermittlungs- und Rezeptionsprozess kulturell -expressiver Phänomene beteiligt sind”,
schreibt er in seinem Abstract. Der auf Howard S. Becker zurückgehende Ansatz betrachtet Kunst als das Ergebnis des Zusammentreffens verschiedener gesellschaftlich bedingter Faktoren und steht damit dem Ansatz der rein individualistischen künstlerischen Tätigkeit diametral entgegen. Beeinflusst wird der Kunst- und Kulturbereich z.B. durch die rechtlichen Rahmenbedingungen, den Technologiewandel oder neue Organisationsstrukturen.
Nicht ganz klar ist mir, inwieweit die KulturmanagerIn als Gatekeeper bei diesen Prozessen angesehen werden kann. Mag sein, dass Kulturmanagement hier in der Vergangenheit die Zügel in der Hand halten konnte. Schaut man sich allerdings die Entwicklung des Social Web und die damit einhergehenden Veränderungen in der Kunstproduktion an (siehe dazu meinen Beitrag “‘Amateure im Web2.0′: (k)ein Konferenzbericht“), dann würde ich, so ich den Begriff Gatekeeping hier richtig verstanden habe, behaupten, dass der Produktionsprozess bald völlig anderen Gesetzen gehorchen wird bzw. teilweise schon gehorcht. Ob es dann noch so etwas wie Gatekeeping geben kann, wäre zu diskutieren.
Bleibt noch der Vortrag von Christiane Schnell, die seit letztem Jahr als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt tätig ist und sich als Kultursoziologin einen Namen gemacht hat. Darin stellte sie die Frage nach der Bedeutung der Feldtheorie Pierre Bourdieus im Kulturmanagement. Der 2002 gestorbene französische Soziologe hat mit seiner Gesellschaftstheorie eine “Sozialtopologie” geschaffen, wie Schnell es in ihrem Vortrag formulierte. Sie erklärt nicht nur die Reproduktion gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse, sondern macht deutlich, dass die soziale Differenzierung auf der Verfügbarkeit verschiedener Kapitalsorten basiert. Dazu gehört neben dem ökonomischen auch das kulturelle Kapital.
Schauplatz dieser Machtkämpfe ist das soziale Feld, die Unterscheidung der verschiedenen Klassen bringt der Habitus zum Ausdruck, das “Zeichen der Distinktion”, wie Schnell es in ihrem Vortrag formulierte. Bezogen auf die kulturelle Praxis heißt das:
- Ästhetischer Geschmack korreliert mit der Position im sozialen Raum.
- Kulturelle Hegemonie wird im Raum der Lebensstile reproduziert.
- Kulturelles Kapital ist ein wesentlicher Faktor sozialer Mobilität.
Daraus folgt, so Schnell: “Kulturelle Präferenzen sind nicht autonom, sondern das Ergebnis der sozialen Sozialisation.” So gesehen lässt sich auch auf der kulturellen Ebene eine Art Landkarte (Sozialtopologie) erstellen. Das bedeutet aber auch, dass KulturmanagerInnen, um die Worte Schnells noch einmal zu benutzen, mit ihrer Tätigkeit gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse reproduzieren und damit verfestigen. Interessant ist das angesichts der Bestrebungen, Kunst allen gesellschaftlichen Schichten zugänglich zu machen. Würde beispielsweise die Kulturpolitik dieses Ziel ernsthaft verfolgen, dürfte dies nicht über die direkte Förderung von Kunst geschehen, sondern müsste da ansetzen, wo das System der unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten aufgebrochen werden kann. Man könnte an dieser Stelle auf den Bildungsbereich verweisen, aber gerade das Beispiel Österreich zeigt, wie hartnäckig konservative Kreise sich zum Beispiel gegen die Gesamtschule wehren, in der der Bildungsweg nicht frühzeitig festgelegt werden muss.
In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde die Frage gestellt, ob die Theorie Bourdieus dem Kulturmanagement überhaupt noch was bringe? Schnell bejahte die Frage, denn die Theorie könne als Hintergrundfolie für die kritische Analyse des Kulturbetriebs dienen. Gleichzeitig sei sie ein Instrument zur individuellen Reflexion der Position bzw. Rolle der KulturmanagerIn.
Der Begriff der Hintergrundfolie gefällt mir sehr gut. Verfolgenswert ist in meinen Augen aber auch der Begriff des kulturellen Kapitals. Es lässt sich, so denke ich, in Netzwerken als Tauschwährung verwenden (siehe dazu: “Soziale Netzwerke“). Damit ließe sich nicht nur Reputation erwerben (siehe auch: “Reputation ist etwas Soziales“), was die Sache für Fundraising und Marketing interessant macht.
Fazit der Tagung: die Suche nach einer Theorie des Kulturmanagements ist noch nicht beendet und wird uns wahrscheinlich noch länger beschäftigen. Bleibt die Frage, ob es so eine Theorie des Kulturmanagements überhaupt geben kann? Jean-François Lyotard hat in der Hochzeit der Postmoderne vom Ende der Metaerzählungen gesprochen. Was aber nicht heißen muss, dass es keine Theorie gibt, sondern eher für das Nebenher vieler verschiedener Theorien spricht. Für die folgenden Tagungen des Fachverbandes Kulturmanagement gibt es also noch genügend Themen.
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