Rico Bandle geht auf kulturblog.ch der Frage nach, “warum fast nur Altes gefördert wird“. Denn, so stellt er fest:
“Die öffentliche Kulturförderung geht zu einem grossen Teil an die Erhaltung und Pflege von alten Werken und Gegenständen; um Neues zu ermöglichen bleibt wenig Geld übrig.”
Das stimmt. Aber nur teilweise, finde ich. Denn die öffentlichen Fördergelder fließen nicht nur in die Erhaltung und Pflege alter Kunst, sondern auch in innovative Projekte. Und so krampfhaft wir versuchen, uns an der Vergangenheit festzuhalten – Rico Bandle zitiert den äußerst lesenswerten ZEIT-Artikel “Schafft die Museen ab!” des Historikers Philipp Blom – , so verbissen versuchen wir innovativ zu sein.
Beides kann so nicht funktionieren bzw. bringt uns nicht wirklich weiter. Warum das mit der Innovation so nicht funktionieren kann, habe ich im Beitrag “Wenn Fördergeber innovative Projekte erwarten” zu begründen versucht. Innovation aus dem Fördertopf, sorry, das schließt sich aus. Die Innovation, die da verlangt wird, ist nur ein noch nicht gesehenes Spektakel. Dabei wird vergessen, dass es ja verschiedene Formen der Innovation gibt, z.B. die Produkt- und die Prozessinnovation. Zweitere kann längere Zeit in Anspruch nehmen. Da ist es dann entlarvend, wenn der Fördergeber nach dem zweiten Förderjahr fragt, was denn an dem Projekt noch innovativ sei.
Genauso unsinnig ist es, und da stimme ich Rico Bandle zu, “alte Fassaden” zu subventionieren. Auch Blom beschreibt in seinem Artikel recht eindrücklich, mit welcher Begeisterung wir Napoleons Toilette betrachten und uns den Mechanismus erklären lassen.
Das heißt, wir ergötzen uns auf der einen Seite an einer statischen Vergangenheit und befinden uns andererseits auf der Suche nach der ultimativen Innovation. Ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft. Dieses Zitat habe ich mir gemerkt. Von wem es stammt, leider nicht. Aber welche Vergangenheit und welche Zukunft?
Mir gefällt in diesem Zusammenhang der Begriff des kulturellen Gedächtnisses ganz gut, den der Ägyptologe Jan Assmann eingeführt hat. Es ist nicht nur in uns Menschen angesiedelt, so Assmann, sondern objektiviert sich auch in Artefakten. Seine Frau, Aleida Assmann unterscheidet dabei zwischen dem Speicher- und dem Funktionsgedächtnis. Das Speichergedächtnis ist für sie das Archiv, in dem die stummen Zeugen der Vergangenheit lagern, die dem Vergessen ausgeliefert sind.
Die im Funktionsgedächtnis aufgehobenen Artefakte hingegen haben sich Aleida Assmann zufolge durch Auswahl und Kanonisierung einen Platz im aktiven kulturellen Gedächtnis gesichert. Sie seien dabei im Kontext des historischen Wandels einer ständigen Diskussion bzw. Neudeutung unterworfen, da sie über die Generationen hinweg den jeweils aktuellen Bedürfnissen und Ansprüchen angepasst würden.
Diese Art der Auseinandersetzung halte ich für sinnvoll, dabei geht es allerdings nicht darum, ein barockes Stadtschloss im Originalzustand wiederaufzubauen, sondern Vergangenheit und Gegenwart so zu verbinden, dass daraus Zukunft entsteht, um es salopp zu formulieren.
Wenn wir nun Innovation im Sinne Schumpeters als Prozess schöpferischer Zerstörung ansehen, dann ist auch klar, dass es dazu Mut braucht. Und den hat eine Kulturbürokratie nicht, den kann sie auch gar nicht haben. Das würde dem Wesen der Bürokratie widersprechen.
Insofern hat Hanspeter Gautschin Recht, wenn er von einer “reaktionären Kulturbürokratie” spricht. “Reaktionär” verstehe ich dabei nicht als Schimpfwort, eine Bürokratie wird immer darauf aus sein, den Status Quo zu wahren.
Das Problem ist nun aber, dass die öffentliche Kulturverwaltung sich in einer Zwickmühle befindet. Sie kann eigentlich gar nicht das Richtige tun. Und wir als Gesellschaft wollen das auch gar nicht, denn Rico Bandle schreibt ja richtig:
“Die Kulturförderung ist (…) nur ein Spiegel der Gesellschaft.”
Nachdem Blom aber feststellt, dass wir die erste Kultur der Weltgeschichte seien, die Altes verehre, nur weil es alt sei, können wir diesem Dilemma nur entkommen, wenn wir diese Haltung wieder ablegen. Die jetzige Form der Kulturförderung ist also eigentlich ein gesellschaftliches Problem, das wir zu lösen haben. Nicht die Kulturverwaltung.
Der spielerische Umgang mit der Vergangenheit erfordert Stärke und Selbstbewusstsein. Haben wir beides? Und sind wir in der Lage, daraus so etwas wie eine “neue” Kulturpolitik entstehen zu lassen? Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Und wir sollten diese Herausforderung nicht der Politik überlassen. Der traue ich das, ehrlich gesagt, nicht zu.
PS: Übrigens blicke ich etwas neidisch in die Schweiz, wo solche Fragen thematisiert werden.
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