© Thrish; Pixelio
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie ein Museum besuchen, aber für mich ist das oftmals wie eine Reise in die Vergangenheit. Ehrfürchtig stehe ich vor den Reliquien einer bestimmten Epoche, bestaune die Exponate und erfahre etwas über das entsprechende Thema oder einen bestimmten Zeitabschnitt. Anschließend stehen dann noch der Shop und/oder das Cafe auf dem Programm. Und dann? Nichts und dann. Das war es dann meistens schon. Abgesehen davon, dass man anschließend erzählen kann, in der und der Ausstellung gewesen zu sein und das ganz berühmte Gemälde von XY gesehen zu haben.
Das mag schön sein, es gesehen zu haben, aber was hat Ihnen der Museumsbesuch und das andächtige Anstarren des Gemäldes gebracht? Haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen? Für sich und Ihre Zukunft? Nein? Auch Michael Fehr, Professor und geschäftsführender Direktor des Instituts für Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin und Vorsitzender des Werkbundarchiv e.V., Berlin beklagt in unseren Museen entsprechende Defizite.
In seinem Artikel “Was wäre gewesen, wenn ….” auf der Website der Kulturpolitischen Gesellschaft spricht er von musealen Monologen und fordert die Museen dazu auf, eine “offene dialogische Kommunikationsstruktur” zu etablieren. Aber der Reihe nach.
Die besondere Herausforderung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise besteht für Fehr darin, nicht auf bewährte Rezepte aus der Vergangenheit zurückgreifen zu können, um sie zu lösen:
“Vergangenheit (wird) in dem Maße zum Ballast für Gegenwart und Zukunft, wie sie nicht bekannt oder verstanden ist.”
Er bezieht sich dabei auf das von Herrmann Lübbe beschriebene Phänomen der Gegenwartsschrumpfung, Die Schnelllebigkeit unserer heutigen Zeit führe dazu, dass wir auf eine Vergangenheit zurückblicken, deren Strukturen unserer Gegenwart kaum mehr ähneln. Gleiches gilt für die Zukunft:
“die Anzahl der Jahre, innerhalb derer wir mit einer Zukunft rechnen können, die in wesentlichen Hinsichten unseren gegenwärtigen Lebensverhältnissen noch gleicht, (nimmt ab).”
Aus dieser Gegenwartsschrumpfung, so Fehr weiter, erkläre Lübbe das historische Bewusstsein als ein Phänomen einer spezifischen modernen Kultur und die auffällig großen Bemühungen moderner Gesellschaften, Vergangenes gegenwärtig zu halten. Das heißt, es geht um den Versuch, den Faden zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht abreißen zu lassen. Oder mit den Worten Lübbes:
“Die Leistungen des historischen Bewusstseins sind Leistungen zur Kompensation eines änderungstempobedingten Vertrautheitsschwundes. “
Für Fehr liegt darin die gesellschaftliche Funktion der historischen und kulturhistorischen Museen begründet:
“Sie besteht einerseits darin, den für ihr jeweiliges Wissensgebiet klassischen Kanon möglichst umfassend zu repräsentieren, und andererseits darin, durch den Aufbau entsprechender Sammlungen diesen Kanon mit entsprechenden Hervorbringungen der jüngeren Vergangenheit bis zur Gegenwart zu verknüpfen.”
Doch, so seine Frage, sind wir wirklich schon einmal ins Museum gegangen,
“um dort nach einem Beispiel zur Orientierung in der Gegenwart zu suchen?”
Was läuft falsch? Fehr formuliert in der Folge fünf Thesen:
These 1: Während sich die Massenmedien (Radio, TV) mehr und mehr von der Einbahnstraßenkommunikation wegentwickeln, werden
“die Museen zunehmend in Distributionsapparate alten Stils re-konfiguriert und als Repräsentationsorte für historische Wissensbestände betrieben”.
These 2: Vor allem die historischen und kulturhistorischen Museen würden ihre Sammlungen, so formuliert es Fehr, tendenziell nur noch als Material zur Illustration beziehungsweise Beglaubigung für unabhängig von ihnen konstruierte Geschichtsbilder einsetzen.
Das bedeutet, die Exponate bzw. Dinge der Vergangenheit dienen der Untermauerung dieses Geschichtsbildes, aber nicht dem Diskurs. Andere Ansichten und Standpunkt gehen auf diese Weise unter.
These 3: Die “modernisierten und technisch-medial aufgerüsteten Museen” verhindern Kommunikation,
“(indem) sie in ihren Präsentationen die Dinge auf einen ihrer Aspekte buchstäblich festlegen und festschreiben (…)”.
Fehr spricht von den “Audiovisualia”, hinter denen sich das Museum versteckt. Sie werden ausschließlich der Gegenwart der Institution unterstellt und nehmen den dahinter stehenden Dingen sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft. Ein Diskurs ist so nicht möglich.
These 4: Das historische und kulturhistorische Museum ist, so Fehr, nicht nur das Ergebnis der Gegenwartsschrumpfung, sondern es verstärkt diese Entwicklung sogar noch, weil es
“entgegen allen Beteuerungen der Museumsleute, in Wahrheit nicht den Eigensinn der Vergangenheit erhellen, sondern bloß unsere Gegenwart legitimieren soll, mithin das Denken in Zukünften nicht erlaubt”.
These 5: Museen können diesem Zustand nur entkommen, wenn sie die Gegenwartsschrumpfung und sich selbst als Phänomen thematisieren, folgert Fehr. Es muss sich, fordert er, als ein Ort etablieren
“an dem Antworten auf die Frage: ‘Was wäre gewesen, wenn …?’ gestellt und gesucht werden; es müsste, mit einem Wort gesagt, auch der Fiktion einen Platz gewähren.”
Diese Mehrdeutigkeit der Dinge gelte es nicht nur zu erhalten, sondern sie als ein Kennzeichen von Museen hervorzuheben bzw. zu thematisieren. Womit wir wieder bei der offenen dialogischen Kommunikationsstruktur gelandet sind.
Nicht das Museum gibt vor, wie die Dinge zu verstehen sind, sondern die Kommunikation bringt bestimmte Sichtweisen hervor, die höchst unterschiedlich ausfallen können.
“Die vielfältigen und immer wieder neuen Erzählungen, die aus diesen Reden entstehen, sind aber das, wodurch das Jetzt breiter gemacht und das Museum sich mit Sinn und Recht als öffentlicher Ort innerhalb der Mediengesellschaft neu etablieren könnte”,
schlussfolgert Fehr am Ende seines Artikels. Museen könnten so an Bedeutung gewinnen, weil sie sich in einen Ort verwandeln, in dem wir ausgehend von der Vergangenheit, Fragen betreffend unsere Zukunft zu beantworten versuchen. Und was eignet sich für diese Dialoge besser als das Social Web mit seinen fast unbegrenzten Möglichkeiten der Kommunikation?
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