Management: was wir von Scrum lernen können


© Kurt Michel ; Pixelio

Glaubt man Fredmund Malik, dann erleben wir derzeit die größte Systemtransformation der Geschichte, an deren Ende eine Gesellschaft steht,

“deren wichtigstes Merkmal ihre extreme Komplexität ist,”

so der Management- und Unternehmensberater in einem Anfang 2009 in der FAZ veröffentlichten Interview. Das Problem:

“Die herkömmlichen Organisationen funktionieren nicht unter Komplexitätsbedingungen, denn ihre Entstehung reicht tief in das vorige Jahrhundert, wo völlig andere Bedingungen herrschten,”

so Malik. Die raschen Veränderungen, denen nur begegnen kann, wer über die Bereitschaft und die Fähigkeiten verfügt, innovative Entwicklungen anzustoßen, sieht auch der australische Managementexperte Steve Denning als eine der großen Herausforderungen für Unternehmen, speziell für deren Management. Dafür bedarf es eines hohen Maßes an Flexibilität, was aber dem Wunsch nach langfristiger Planung nicht unbedingt entspricht. Flexibilität versus Planung, vor diesem Hintergrund stellt sich Denning in seinem auf Forbes veröffentlichten Blogpost “Scrum Is A Major Management Discovery” die Frage,

“how do you combine rapid innovation with disciplined execution?”

Auf seiner Suche nach Branchen, in denen dies gelungen ist, hat er die Softwareindustrie und die dort häufig angewendeten agilen Methoden entdeckt. Ein Ansatz hat es ihm dabei besonders angetan: Scrum.

Dabei handelt es sich um eine Methode des agilen Projektmanagements, ein Ansatz, der dem häufig als zu starr und zu wenig flexibel empfundenen klassischen Projektmanagement ein radikal entschlanktes Regelwerk gegenüberstellt:

“Bei Scrum wird grundsätzlich angenommen, dass Produktfertigungs- und Entwicklungsprozesse so komplex sind, dass sie sich im Voraus weder in große abgeschlossene Phasen noch in einzelne Arbeitsschritte mit der Granularität von Tagen oder Stunden pro Mitarbeiter vorher planen lassen. (…) Ein Management „von oben“ sowie traditionelle Methoden zur Kommunikation oder Projektsteuerung, die die Zusammenarbeit im Team regeln sollen, werden abgelehnt,”

heißt es im entsprechenden Wikipediaeintrag. Scrum, diese Bezeichnung taucht das erste Mal Anfang der 1990er Jahre auf, Ausgangspunkt ist ein von Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka 1986 veröffentlichter Artikel “The New New Product Development Game“, in dem diese aus dem Rugby-Spiel einen neuen methodischen Ansatz zu entwickeln versuchten.

Ein Ergebnis dieser Entwicklung war das agile Manifest , auf dessen Basis dann verschiedene Ansätze der agilen Softwareentwicklung wie z.B. Extreme Programming oder eben Scrum entstanden. Bei letzterem handelt es sich um eine iterativ-inkrementelle Vorgehensweise, für die ein Product Owner als Kundenvertreter, der die fachlichen Anforderungen verwaltet und diese priorisiert, der ScrumMaster als der Prozessverantwortliche und das Entwicklerteam benötigt werden  (genauer wird diese Vorgehensweise im Wikipedia-Artikel beschrieben).

Wenn man Scrum von seinem esoterischen Vokabular entkleidet, wie es Denning so schön formuliert, dann lassen sich seiner Meinung nach daraus auch für das Management geltende Grundsätze ableiten, die Unternehmen in die Lage versetzen, sich in ihren Märkten behaupten und der Komplexität unseres Systems begegnen zu können:

  • “Organize work in short cycles,
  • The management doesn’t interrupt the team during a work cycle,
  • The team reports to the client, not the manager,
  • The team estimates how much time work will take,
  • The team decides how much work it can do in an iteration,
  • The team decides how to do the work in the iteration,
  • The  team measures its own performance,
  • Define work goals before each cycle starts,
  • Define work goals through user stories,
  • Systematically remove impediments.”

Diese Grundsätze klingen wunderbar und wahrscheinlich werden viele von Ihnen feststellen, dass Sie in Ihrer Arbeit teilweise gleich oder ähnlich vorgehen. Allerdings nur teilweise und das ist für Denning der große Fehler, denn Ansätze wie Scrum erlauben es einem nicht, sich die Rosinen herauszupicken und alle anderen Abläufe unverändert zu lassen. Keiner dieser Grundsätze ist neu, wie Denning schreibt, aber

“(w)hat is new is doing all the practices together in a disciplined way of getting all work done.”

Für Denning ist klar, dass die hierarchischen Strukturen, die wir in den meisten Unternehmen antreffen, nicht mehr zeitgemäß sind, da trifft er sich mit Malik. Das klassische Management hat für ihn ausgedient, während Scrum bzw. dem, was Denning als radikales Management (siehe dazu auch sein Buch “The Leader’s Guide to Radical Management“) bezeichnet, die Zukunft gehört.

Denning betrachtet Agilität also nicht nur als eine Herangehensweise, die für Projektmanagement geeignet ist, sondern geht einen Schritt weiter und möchte den Ansatz auf das Management allgemein übertragen. Viele werden sich dagegen wehren, keine Frage und die Ansicht vertreten, dass das gerade bei ihnen nicht anwendbar sei, aber ich glaube, selbst oder vielmehr gerade im Kunst- und Kulturbereich, in dem vor allem in künstlerischer Hinsicht Flexibilität als unverzichtbar angesehen wird, wäre es interessant, agile Ansätze zu übernehmen. Dennings Buch ist vor ein paar Tagen angekommen und ich bin gespannt, wie konkret seine Vorschläge sind, um aus einem klassisch-hierarchischen ein agiles Unternehmen zu machen.


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7 Antworten zu „Management: was wir von Scrum lernen können“

  1. Hallo Christian, vielen Dank für deinen Beitrag. Du sprichst hier ein Thema an, mit dem ich mich im vergangenen Semester ausgibig befasste. (siehe dazu: “ Spaß und Hingabe auf teutonisch – nicht ganz alltäglich im Studium )

    Wir haben versucht SCRUM im wissenschaftlichen Betrieb anzuwenden und daraus Einiges gelernt. Eines der wichtigsten Fazits war, dass guter Wille allein nicht aussreicht, um die empirische Prozesssteuerung in Organisationen einzuführen. Es braucht gute Rahmenbedingungen, ausreichende Ausstattung und vor allem ein mutiges Management ohne große Angst vor Kontrollverlust.

    Zwar wurde tatsächlich in allen Büchern und Artikeln, die ich zum Thema gelesen habe, darauf verwiesen, dass die Einführung derartiger Methoden ganz oder gar nicht geht, doch glaube ich, das man sich auch einige wenige “Rosinen” herauspicken kann — es läuft dann nur eben nicht so rund, wie es gern beschrieben wird. Insofern werde ich auch mal schauen, dass ich etwas zum Thema SCRUM und Freiwilligenprojekte schreibe. Das ist bei mir ja auch gerade ein praktisches Übungsfeld (siehe dazu: Auswertung eines Online-Engagement-Projektes: Management von Online-Volunteers — ein Handbuch (#HOV) ).

    Gruß
    Hannes

  2. @Hannes: praktische Erfahrungen würden mich interessieren, denn fast immer landet man, wenn es um die Praxis geht, im Softwarebereich.

    was das Rosinenpicken angeht, bin ich skeptisch. Natürlich lassen sich durch einzelne Maßnahmen Verbesserungen erzielen. Aber für mich stellt sich dann die Frage, ob das dann noch was mit agilen Methoden zu tun hat? In meinen Augen bedarf es da schon einer Grundhaltung, um das agile Manifest auch leben zu können.

    Aber vielleicht diskutieren wir das dann an einem praktischen Beispiel?

  3. … wie . Ausprobiert haben wir das im Rahmen des Zentrums für Technik und Gesellschaft der TU-Berlin. Es sollte eine Vorstudie zu einer größeren Erhebung zum Thema Personal-, Team- und Organisationsentwicklung im Hochschulbetrieb werden.

    Wir waren zwar nur ein sehr kleines Team in dem es mithin auch Rollenkonfusionen gab, doch klappt die Prozessmoderation durch einen Scrum-Master, der auch nur als solcher dabei war, wirklich gut. Was wir übernommen haben / versucht haben zu übernehmen, war die klare Rollenverteilung, die zyklische Arbeit mit den regelmäßigen Treffen und das Einverständnis aller, dass sich unser konkretes Ziel im Laufe des Prozesses ändern kann (und das tat es auch).

    Im Rahmen unseres Teams klappte die Arbeit also recht gut. Vor allem ich war fein raus, weil ich zu Hause arbeiten konnte und als Praktikant nicht von anderen “ausgeliehen” wurde. Meiner Kollegin allerdings, die selbst im ZTG saß, erging es anders und eben hier zeigt sich m.E. das wirkliche Problem: Ein einzelnes Team kann Scrum nicht erfolgreich einsetzen. Sowie auch nicht ein einzelner Mitarbeiter in einer NPO selbstständig ein Freiwilligenprogramm aufsetzen kann. Es bedarf einer Organisationskultur, die agile und empirisch gesteuerte Prozesse mit klaren Teamgrenzen usw. akzeptiert.

    Was die Teilweise Übernahme von Scrum betrifft, glaube ich, dass wir mit dem was wir uns “ausgeliehen” haben, schon ganz gut gefahren sind. Wollten wir aber die ganze Effektivität dieses Prozesssteruerungstools nutzen, hätten wir es tatächlich ganz übernehmen müssen. Was aber eben nicht heiß ganz oder gar nicht

  4. Hallo Christian

    Für uns ist Scrum definitiv das richtige Instrument um komplexe Projekte zu steuern.
    Die Entwicklung und Umsetzung von neuartigen Ausstellungskonzepten erfordert eine adaptive, iterative Herangehensweise. Scrum wird vor allem dann eingesetzt, wenn ein Projekt unvorhersehbare Herausforderungen birgt und kaum mit herkömmlichen Planungsinstrumenten bewältigt werden kann. So werden während der iterativen Zyklen des Scrum-Entwicklungsprozesse überprüft und weitere technische und inhaltliche Umsetzungen werden dementsprechend stets angepasst. Wir setzen zur Zeit Scrum in dem Forschungsprojekt Tangible Info Space / Zukunft vermitteln in Ausstellungen ein und haben bis anhin sehr gute Erfahrungen gemacht. Um mit den knappen zeitlichen und finanziellen Ressourcen optimal auf die während der Entwicklungsphase gewonnen Erkenntnisse reagieren zu können, kommt das System Scrum zum Einsatz, mit dem unser Partner iart seit einiger Zeit sehr erfolgreich arbeitet.

    Beste Grüsse

    Roger Aeschbach
    http://www.elementplus.ch

  5. @Roger Aeschbach: danke für die Rückmeldung. Genau für solche Projekte sind die agilen Methoden optimal geeignet. Es geht darum, sich die nötige Flexibilität zu erhalten, um auf Veränderungen und Unvorhergesehenes reagieren zu können. Aber man muss sich auch darauf einlassen wollen und können, sonst macht ein solcher Ansatz keinen Sinn.

    Und das Projekt muss passen, denn nicht jedes Vorhaben ist Scrum-geeignet.

  6. Hallo zusammen,

    nicht nur das Management muss sich ändern, sondern die ganze Organisation. Ich bin gerade ein Buch am Lesen “Nur Tote bleiben liegen” von Anja Förster & Peter Kreuz. In dem Buch geht es u.a um das Thema, was Christian schon am Anfang seines Beitrags geschrieben hat: „Die herkömmlichen Organisationen funktionieren nicht unter Komplexitätsbedingungen, denn ihre Entstehung reicht tief in das vorige Jahrhundert, wo völlig andere Bedingungen herrschten,“.

    LG Stefan

  7. […] Nach­trag: Sehe gerade erst, dass Chris­tian henner-Fehr dar­über schon vor zwei Jah­ren Inter­es­san­tes im Kulturmanagement-Blog geschrie­ben hat: Hier. […]

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