© Maren Beßler ; Pixelio
Beeinflusst das Medium Internet das Künstler-Dasein und deren Selbstdarstellung? Eine spannende Frage, der Jrene Rolli in ihrem Essay “Selbstdarstellung von Künstlern im Internet” nachgegangen ist. Ich freue und bedanke mich, dass sie mir ihren Text für das Kulturmanagement Blog zur Verfügung gestellt hat.
Entstehung und Entwicklung der künstlerischen Selbstinszenierung
Das Selbstporträt. Eine alte Tradition im künstlerischen Schaffen und auch die erste Form von künstlerischer Selbstdarstellung, an die man sich zurück erinnert. Bis zu Beginn der Moderne bleibt es auch die einzige Erinnerung.
Lange richteten sich Künstler bei der Schaffung ihrer Werke vor allem auf ihre Hauptauftraggeber Staat und Kirche aus. Erst die Moderne brachte die Tendenz zur Selbstreferentialität mit. In Hinblick auf die Kunst bedeutete dies eine neue Freiheit für die Kunstschaffenden. Experimentelles entstand, neue Materialien wurden entdeckt und eingesetzt. So auch das eigene Ich, der eigene Körper. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man diese Tendenz radikal weiterentwickeln. Vermehrt fanden nun künstlerische Auseinandersetzungen mit der eigenen Person in Handlungen und Aktionen statt. Ab 1960 wurde die Selbstdarstellung als treibende Kraft des künstlerischen Schaffens von immer mehr Künstlern entdeckt. Der verkaufsfördernden Wirkung der Selbstdarstellung auf dem aufblühenden Kunstmarkt war man sich bereits zu dieser Zeit bewusst. Nicht immer stand des Künstlers authentische Ich im Mittelpunkt des Werkes, oftmals schlüpften sie in andere Rollen, agierten als Schauspieler und nahmen immer wieder andere Identitäten an. Oft mündete dies in einer totalen Selbstentfremdung.
Die wahre Hochkonjunktur erlangte die Selbstdarstellung jedoch erst mit dem Internet. Das Phänomen der „boomenden“ Selbstdarstellung trifft man seit Anfang des 21. Jahrhunderts nicht bloss in der Kunstsparte an. Diese Erscheinung ist breit über die ganze Gesellschaft verstreut. Videos vom neugeborenen Baby auf YouTube, das Tagebuch der Tochter von nun an in einem Blog mit der halben Welt geteilt und über Xing werden triste Lebensläufe zum Leben erweckt.
Sennet hat den immer stärker werdenden Hang – man könnte hier wohl auch von Drang sprechen – zur Selbstoffenbarung „die Tyrannei der Intimität“ genannt. Was Künstler jedoch von den anderen die ihr Ich öffentlich zelebrieren unterscheiden mag, ist die Art und Weise wie sie es tun. So geschickt und professionell erreichen sie oft weit bessere Resultate als die dem modernen Exhibitionismus frönenden Personen.
Künstler-Dasein heute
Nicht alleine durch die Entwicklung eines Kunstmarktes wie wir ihn heute kennen, sicherlich auch durch Fördergelder, Stipendien und Möglichkeiten des Teilzeit-Studiums, begehen und wagen immer öfters Leute den Weg zum Künstler-Dasein. Der grosse Jackpot der auf dem Kunstmarkt gefüllt mit Geld und Anerkennung lockt, die Chance ihn zu knacken ist vergleichbar mit einem Sechser im Lotto.
Doch wann ist ein Künstler überhaupt ein Künstler? Brock argumentiert, dass im Gegensatz zu allen anderen Berufsgruppen sich die Künstler ausschliesslich über sich selbst legitimieren. Beuys hingegen äusserte einst, jeder sei ein Künstler. So unterschiedlich diese zwei Ansichten auf den ersten Blick sind, so ähnlich wirken sie bei einer zweiten Betrachtung.
Zahlreiche Portale auf dem Internet widmen sich Kunstschaffenden und bieten eine Plattform für die Präsentation eigener Werke. Nehmen wir in diesem Beispiel im spezifischen die Bildende Kunst. Häufig teilen sich im Web Kunststudenten mit Abschluss und Ausstellungserfahrung den Platz mit künstlerischen Autodidakten. Könnte man die Identitäten hinter den Werken nicht weiterverfolgen, würde nicht selten der Unterschied kaum auffallen. Weder von richtigen und falschen Künstlern noch von Konkurrenz kann man sprechen, denn jeder ist ein Künstler, wie eben Beuys schon früh zu sagen wagte. Und dies wohl heute im Zeitalter des Internets mehr als je zuvor.
Eigenheiten des Internets in Bezug auf die Identität
Gegenüber von klassischen Medien mit einem sozial integrativen Effekt, schreibt Lievrouw dem Internet das Auslösen eines Gefühls der Einzigartigkeit zu. Das Internet bietet auch Minderheiten und deren Sichtweisen Platz und fördert entsprechend Individualität. Dass gerade Künstler bereits früh das Internet für sich entdeckten erstaunt daher nicht. Das Experimentieren mit verschiedenen Identitäten ist in der virtuellen Welt auf Grund der wegfallenden körperlichen Merkmale, der fehlenden Kontrolle durch das soziale Umfeld sowie der gegebenen Anonymität ein Kinderspiel. Ein Spiel in dem verschiedene Rollen eingenommen werden können und so ein eigenes anderes Selbst geformt werden kann. Der eigene Auftritt kann also immer wieder anders aussehen.
Früher war die Zugehörigkeit von Faktoren wie Kirche und sozialer Klasse bestimmt und wirkte sich stark auf die Identitätsentwicklung aus. Heute fehlen diese festen Gruppierungen oft. Virtuelle Netzwerke nehmen deren Platz ein und werden zu einem bedeutsamen Instrument für die Identitätsentwicklung. Egal ob als Einzelkämpfer oder in einer Gruppierung mit Gleichgesinnten, das Internet bietet auch bisher unbekannten Kunstschaffenden die Möglichkeit auf sich aufmerksam zu machen und aus dem Schatten heraus zu treten. Man spricht von einer modernen Identität welche mobiler, multipler und selbstreflexiver und konstruierbar ist.
Unterschiede in der Selbstdarstellung
Die Form der Selbstdarstellung kann in mehrere Richtungen gehen. Einerseits als direkter Einflussfaktor auf das künstlerische Werk andererseits als reine in Szene Setzung des Künstlers an sich in der Öffentlichkeit. Wobei ersteres schon seit Beginn der Moderne zu beobachten ist, tauchte die teilweise extreme Selbstdarstellung der Künstler erst mit dem Internet erwähnenswert auf. Wobei wir uns hier wieder an Beuys und Brock erinnern können: Jeder kann grundsätzlich ein Künstler sein und das World Wide Web bietet hier nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Selbstinszenierung. Gehen wir als Beispiel wieder von den Bildenden Künsten aus und schauen uns die Vielfalt von Portalen, Portfolios und Web-Magazinen an die in den letzten Jahren entstanden sind und vor allem wie sie sich entwickelt haben. Längst haben frühere Minderheiten wie Grafitti-Künstler oder Illustratoren auch ihren Weg auf renommierten Kunst-Webseiten gefunden und Platz genommen. Was jedoch früher wie auch heute noch immer Bestand hat, ist, dass die „Qualität“ der Werke noch immer Hauptgrund für Erfolg respektive Renommee ist.
Wandlung des Künstler-Daseins mit dem Internet
Kaum ein Künstler existiert ohne seine eigene Webseite oder zumindest einem Onlineauftritt auf einem der zahlreichen Branchenportale. Besonders die junge Generation der Kunstschaffenden hat das Internet als vielfältig nutzbares Medium erkannt. Nebst Verkaufsförderung, Steigerung der Bekanntheit und Netzwerk- Möglichkeiten ist die Selbstvermarktung voll im Gange. Die Kunstschaffenden haben verstanden, wenn sie auf dem Kunstmarkt gefragt sein wollen müssen sie ein attraktives Angebot zu bieten haben. Das soll nicht heissen, dass sie ihre Werke dem Markt anpassen, sondern vielmehr, dass sie sich als Künstler zu einer Marke gewandelt haben. Vergleichbar mit einer Einzelfirma, die ein Image aufbaut, sich eine Corporate Identity zulegt und selbstsicher auf den Markt tritt um seine Produkte anzubieten. Künstler scheinen sich in den letzten Jahren zum heutigen Gesamtkunstwerk ICH gewandelt zu haben.
Literaturverzeichnis
- Bürmann, Bettina (1995) “Selbstdarstellung – ewige Neigung aller Künstler …”: zur Selbstdarstellung in der Kunst der Gegenwart, Köln, Claus Richter Verlag
- Roesler, Silke (2007) Identity Switch im Cyberspace. Eine Form von Selbstinszenierung, Frankfurt am Main, Lang
- Bucher, Ulrich (2004) Die sozialen Folgen des Internets im Zusammenhang mit den Internet-Auftritten von Künstlern, Marburg, Tectum-Verlag
- Kesser, Caroline (2009) „Mehr Spurensuche als Selbstinszenierung“, NZZ Online 15.01.2009
- Eiden, Gabriela (2004) „Soziologische Relevanz der virtuellen Kommunikation“
- Kunstmuseum Bern (2009) „Ego Documents – Das Autobiografische in der Gegenwartskunst“
Über die Autorin:
Jrene Rolli, 1986, aus Zürich, hat an der Universität Basel und Hochschule Luzern Kulturmanagement studiert. Zurzeit ist sie im Medienbereich als Produktionsassistentin für trimediale (TV/Radio/Online) Formate tätig und hat die administrative Leitung der Abteilung inne. Ihre Spuren im kulturellen Bereich hat sie bisher besonders mit Kommunikation hinterlassen; In Kunstgalerien im In- und Ausland, internationalen Filmfestivals und Musik- und Kulturmagazinen. Stark interessiert am Zusammenspiel von Wirtschaft und Kultur hat sie ihre Masterarbeit zum Thema “Kunst in der Werbung von Banken” verfasst.
Link: Jrene Rolli (Xing) (nur für angemeldete Mitglieder sichtbar)
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