Als ich gestern über die Reputation als eine der Grundvoraussetzungen für den Erfolg geschrieben habe, ist mir eine Geschichte eingefallen, die schon fast dreißig Jahre zurückliegt. Meine Eltern hatten damals im Südtiroler Pustertal eine Ferienwohnung gemietet, die irgendwann mal nicht mehr groß genug war. Also schauten sie sich nach einer Alternative um und wurden in unmittelbarer Nähe fündig. Über den Preis war man sich sehr schnell einig, nur blieb für den Bauern, dem die Wohnung gehörte, die Frage offen: wer ist das eigentlich, an den ich da meine Wohnung vermieten soll?
Wie löste er das Problem? Er ging zu den Nachbarn der alten Wohnung, um mehr über seinen möglichen Mieter herauszufinden. Meine Eltern hatten Glück, beim nächsten Treffen stellte der Bauer fest, dass sie einen guten Leumund hätten und der Vertrag wurde unterschrieben.
Der gute Ruf, und im Endeffekt geht es beim Thema Reputation genau darum, war schon immer wichtig. Wer umgekehrt einen schlechten Ruf hatte, lief Gefahr, aus dem Wohnblock oder dem Ort vertrieben zu werden. Als ich vor längerer Zeit im Rahmen eines Seminars über Reputation und ihre heutige Bedeutung diskutierte, kam ein ganz wichtiger Einwand: Früher wären solche Situationen wie die oben beschriebene einfach passiert, heute hingegen sollen wir unser ganzes Leben inszenieren.
Die Ergebnisse der daraus entstehenden Diskussion waren sehr spannend. Einerseits stellten wir fest, dass jeder Mensch als Teil einer Gruppe oder der Gesellschaft einen Ruf bekommt, zu dem er selbst beiträgt. Zumindest teilweise, denn die Gruppe oder die Gesellschaft können durch die Interpretation von Handlungen, etc. des Einzelnen den Ruf entscheidend beeinflussen. Erinnern wir uns beispielsweise an die mittelalterlichen Hexengeschichten. Das heißt, es kommt zu einer Wechselbeziehung zwischen dem Individuum und der Gruppe.
Andererseits waren wir davon überzeugt, dass es nicht nur heute, sondern auch früher schon Menschen gab, die sehr aktiv an ihrem Ruf arbeiteten. Das führt zu der Frage: kann ich meinen Ruf, meine Reputation inszenieren? Die Antwort lautete damals ja und nein. Der Erfolg der Inszenierung hängt von der Authentizität ab. Es gibt Menschen, denen nimmt man ihre “Inszenierung” ab und dann gibt es die, bei denen alles gekünstelt wirkt.
Lässt sich also der eigene Ruf inszenieren oder ist er ein Produkt, das so eng mit dem Individuum verbunden ist, dass Inszenierungen mittel- und langfristig scheitern müssen?
Ich vermute, dass uns Inszenierungen heute leichter fallen als früher. Warum? Ich bin bei der Recherche in der englischsprachigen Wikipedia-Version auf die Erläuterung des Begriffs Reputation management gestoßen. Dort wird zwischen den “Real world- und den Online-communities unterschieden. In der realen Welt entstehe Reputation, so heißt es dort, in kleinen Orten anders als in Großstädten. Der Unterschied: je größer bzw. anonymer die Gruppe, desto formalisierter läuft der Prozess ab, an dessen Ende dann ein guter oder schlechter Ruf steht.
Nachdem wir uns heute in der Tendenz eher in großen Gruppen bewegen, die sich durch einen gewissen Grad an Unpersönlichkeit auszeichnen – und da schließe ich dann auch den Online-Bereich mit ein – können wir in diesem Umfeld sehr wohl auf die Inszenierung setzen. Je größer die Gruppe, desto weniger stark fällt die Authentizität ins Gewicht, müsste dann die Schlussfolgerung lauten.
Aber vielleicht liege ich damit auch völlig falsch. Wie sehen Sie das?
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