“Pay it Forward”: ein neues Geschäftsmodell?

Kunst und Kultur muss ja nicht immer nur von Fördergebern oder Sponsoren finanziert werden, mittlerweile gibt es ja einige Ansätze, die darüber hinaus gehen. Meist sind es der Film- und der Musikbereich, die da eine Vorreiterrolle übernehmen (mehr dazu hier, hier oder hier). Auf der Suche nach neuen Finanzierungsformen für das heute beginnende Seminar in Leoben zum Thema Kulturfinanzierung bin ich auf einen neuen Ansatz gestoßen, das Beispiel kommt wie so oft aus der Musikbranche.

newsday.com hat vor wenigen Tagen über Coldplay und ihr neues Album berichtet, der Artikel beginnt mit der Feststellung:

“Forget ‘pay what you want.’ The new model for the music industry may be ‘pay it forward.’”

Ersteres kennen wir ja noch von Radiohead, die uns entscheiden ließen, was wir für die Musik zu zahlen bereit sind. Coldplay hingegen wählt einen anderen Weg. Die Gruppe stellte ihre Hitsingle über einen begrenzten Zeitraum zum kostenlosen Download zur Verfügung und hoffte, damit eine entsprechend große Publicity zu erreichen, um langfristig mehr CD verkaufen zu können als auf traditionellem Weg.

Dass mit der Publicity hat auf alle Fälle geklappt, denn 600.000 Downloads am ersten Tag sind schon mal nicht schlecht. Die Zugriffe auf die Coldplay-Website waren an diesem Tag um 1.800 Prozent höher als zwei Tage zuvor. Und auf Last.fm wurde der Song am ersten Tag rund 33.000 Mal gespielt, heißt es in dem Artikel weiter. Zwei Vorteile resultieren daraus: die Marketingkosten für die Bewerbung von Single und CD sind so wesentlich niedriger als beim klassischen Modell und die Aufmerksamkeit in den Medien war sehr viel größer. Das heißt:

“”While publishers become increasingly concerned about the cannibalization of their revenue stream, experiments by Coldplay and Radiohead, at a minimum, prove that free music downloads provide added publicity to increase awareness for album releases,”

zitiert der Artikel einen Experten. Damit wird eine interessante Entwicklung eingeleitet. Die KünstlerInnen setzen nicht mehr auf den schnellen und möglichst erfolgreichen Verkauf ihrer Single oder CD, sondern beginnen langfristig zu denken. Im Gegensatz zu den Plattenfirmen, die am kurzfristigen Erfolg interessiert sind. Warum das so ist, erklärt Autor Glenn Gamboa:

“Record companies mainly concern themselves with making as much money as they can in the short-term, since the profit splits on the contracts are more favorable for them at that point. Artists, on the other hand, generally don’t start making serious money until after they have fulfilled their first contract and sign another where they get a higher percentage of the profits and get more control over their careers.”

Seine Schlussfolgerung:

“That means record companies have less financial incentive to support a veteran band on its fourth album than a brand-new act and its debut, so they haven’t been very interested in strategies that help bands develop long-term relationships.”

Dieses “Pay it Forward”-Modell funktioniert aber nur dann,

“if artists commit to strengthening their relationship to fans with free music and fans commit to supporting their favorite artists financially by buying their albums, going to their shows and buying their T-shirts and other merchandise.”

Was hat es nun mit diesem Pay it Forward-Ansatz auf sich? Wenn man im Internet recherchiert, stößt man auf einen Film, der diesen Titel trägt und im deutschsprachigen Raum unter dem Titel “Das Glücksprinzip” gelaufen ist. In einer der Besprechungen wird der Ansatz als eine Art Kettenbrief beschrieben:

“Wenn Dir einer etwas Gutes tut, dann revanchiere dich nicht bei ihm, sondern suche dir drei Personen, denen du ebenfalls etwas Gutes tust.”

Interessant auch, was in brand eins vor sieben Jahren dazu geschrieben wurde. Dort wird das Prinzip so erklärt:

“Ich tue etwas wirklich Gutes für drei Leute. Und wenn die mich fragen, wie sie es mir zurückgeben können, sage ich ihnen, sie sollen es weitergeben. An jeweils drei andere Leute, jeder von ihnen. So wird dann also neun Menschen geholfen. Und diese Leute müssen dann 27 helfen. So breitet es sich immer weiter aus. Zu 81 Leuten, dann 243, dann 729, dann 2187. Seht ihr, wie groß das wird?”

Wenn ich nicht ganz falsch liege, ist das nicht ganz der Ansatz, den Bands wie Coldplay verfolgen, denn sie möchten ja, dass die gute Tat quasi wieder auf sie zurückfällt und sie belohnt werden, indem man ihre CD kauft. Vielleicht kann man auch von der kommerziellen Variante dieses idealistischen Ansatzes sprechen? ;-)

Dieser kommerzielle Ansatz besteht darin, dass ich einen Appetizer kostenlos aus der Hand gebe und darauf vertraue, dass dieser, da reproduzierbar, weitergegeben wird und die Empfänger dazu bewegt, meine CD zu kaufen. Im Musikbereich funktioniert das, weil Musik digital zur Verfügung steht und unkompliziert weitergegeben werden kann.

Wie sieht das aber mit Kunst aus, die nicht beliebig vervielfältigt werden kann? Mit Ausstellungen, mit Lesungen und Theaterinszenierungen? Eine Theateraufführung ist eine Theateraufführung. Da kann ich nicht die erste Szene kostenlos im Theater anbieten und darauf setzen, dass die BesucherInnen das erstens weitererzählen und zweitens dann bei der Vorführung des gesamten Stücks zu zahlen bereit sind.

Die Frage ist also, ob es etwas gibt, was Kunst- und Kultureinreichtungen ähnlich der Hitsingle kostenlos aus der Hand geben können, das weitergegeben wird und die potenziellen BesucherInnen dazu bringt, die jeweilige Veranstaltung zu besuchen? Spontan fallen mir Trailer ein, die sich via YouTube verbreiten lassen. Oder eCards, die weiterverschickt werden können. Wenn die Qualität von Trailer bzw. eCard gut ist, dann lassen sich beide sicher verbreiten. Aber gelingt es auch, die Verbindung zum eigentlichen Produkt herzustellen? Da bin ich skeptisch, aber vielleicht hat ja jemand eine Idee? Dann ließe sich dieser Ansatz auch für andere Sparten nutzen.


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Kommentare

7 Antworten zu „“Pay it Forward”: ein neues Geschäftsmodell?“

  1. Sehr gut funktioniert das ja auch mit Büchern. Obwohl viele Autoren Angst haben, dass man die dann nur auf dem Bildschirm liest, anstatt sie zu kaufen.
    Die, die es ausprobiert haben, ihr Buch als e-Book gratis anzubieten haben durchwegs positive Erfahrungen damit gemacht.
    Im Literaturcafé gab`s mal so eine Geschichte: Paul Coelho hat eine Fake-Internetseite gebastelt, mit angeblichen Raubkopien eines seiner Bücher.
    Warum? Um den Verkauf anzukurbeln. Die Leute fangen am Bildschirm zu lesen an, werden in die Geschichte hineingezogen und kaufen sich das Buch – ist ja doch netter, am Balkon oder in der Badewanne zu lesen als am Computer. Hier die Story + Interview: http://www.literaturcafe.de/paulo-coelho-buecher-kostenlos-zum-download/

    Gut funktioniert das natürlich mit Medien, die sich digital verbreiten lassen, also Bücher oder Musik/mp3. Aber warum nicht mal ein Bild einscannen und als Poster oder eCard verschenken? Oder das Drehbuch zu einem Theaterstück? Oder einen Konzertmitschnitt? Kann man ja mal probieren? Vielleicht geht´s auch in die Hose. Aber wenn man es nicht probiert, weiß man es ja nicht…

    Grüße, Karin

  2. Paulo Coelho nehme ich auch immer als Beispiel. :-) Ob allerdings jeder mit Fakeseiten arbeiten sollte und dann durch den Protest und nicht durch das eigentliche Werk auf sich aufmerksam macht, wage ich zu bezweifeln. Der Schuss könnte auch nach hinten los gehen.

    Wie Du schreibst, in manchen Sparten ist es ganz einfach, solche “Produktketten” zu entwickeln, die mit einem kostenlosen Angebot beginnen und mit einem Kaufprodukt enden. Poster, Karten, etc. gehören für mich da noch nicht wirklich dazu. Ich betrachte solche Produkte noch als Vorprodukte, die auf das kostenlose Angebot aufmerksam machen. Der Sprung zum Produkt, das gekauft werden soll, gelingt damit meiner Meinung aber nicht.

    Spannend wäre es nun, solche Produktketten für Bereiche zu erarbeiten, in denen die Produkte nicht beliebig reproduzierbar sind. Gibt es das überhaupt und wie könnte das dann aussehen? Eine Antwort habe ich darauf noch nicht.

  3. “Eine Antwort habe ich darauf noch nicht.”

    Ich auch nicht…

    Ja klar, e-Cards, Poster etc. sind “Vorprodukte” und noch nicht das Produkt selbst.
    Aber vielleicht gelingt es damit ja, auf das Angebot aufmerksam zu machen und potenziellen Käufern oder Besuchern “einen Gusto” drauf zu machen?

    Das Problem bei Produkten, die nicht beliebig reproduzierbar sind, sind die Kosten.
    Wenn ich ein Buch als Download zur Verfügung stelle, können das beliebig viele Leute von meiner Seite runterladen, ohne dass mir Kosten entstehen.

    Wie soll denn das funktionieren mit Dingen wie Theateraufführungen oder Original-Kunstwerken? Wer bezahlt denn die Schauspieler oder Künstler?

  4. Die Frage stelle ich mir auch. Im Theaterbereich könnten es vielleicht noch Trailer oder Filmausschnitte sein, im Bereich der Bildenden Kunst wird es dann wirklich schwierig. Da passt dieser Ansatz dann einfach nicht, denke ich.

    Da ist es dann unter Umständen sinnvoller, die “Investoren”-Schiene zu fahren, also den “Fans” ein Investment anzubieten, mit dem sie sich an einer Produktion beteiligen können. Vielleicht sogar auf der geschäftlichen Ebene, das hängt dann von der Produktion selbst ab.

  5. […] Henner-Fehr hat sich in seinem Beitrag vom 16. Mai mit so genannten “Pay-what-you-want-” und Gratisangeboten im Kulturbereich […]

  6. Eine interessante Frage von Dir: Funktioniert das Pay it Forward Prinzip auch, wenn die Kunst nicht beliebig verfielfältigt werden kann?
    Ich glaube: Ja und gerade dann!
    Natürlich kann ich im Theater nicht den ersten Akt kostenlos anbieten und dann für den zweiten Tickets verkaufen.
    Aber ich kann eine Freikarte vergeben und hoffen, dass der Zuschauer gut über mich spricht (word of mouth ist immer noch der Hauptgrund für den Kartenkauf) und auch selbst mal wieder in eine andere Vorstellung kommt.
    Dabei sollte man die Freikarten aber schon selbst verteilen und dafür nicht irgendeine Agentur nutzen – der Zuschauer soll ja schliesslich dem Haus gegenüber dankbar sein und nicht glauben, er hätte das teure Ticket durch seine Beiträge in einem Freikartenclub verdient. Dann muss man darauf achten, dass man sich damit nicht den Vollpreismarkt kaputt macht – was aber durch eine vernünftige Zielgruppenauswahl problemlos funktioniert.
    Aber am besten funktioniert das Prinzip natürlich, wenn ich nicht für jede Vorstellung 10 Tickets verschenke, sondern eine Vorstellung komplett frei vergebe – an Jugendliche, Behinderte, Studenten, Hausfrauen, Menschen – die besonderes geleistet haben, …
    Einfach eine Gruppe aussuchen, die ich bisher mit meinem Angebot schwer erreicht habe und die ich gerne vermehrt in meinem Haus begrüssen würde.

    Der Vorteil: Ich habe ein Event für den Kunden inszeniert, kann das ganze auch PR-technisch nutzen und verfielfältige so die Wirkung.

    Aber eine Bemerkung zum Schluss:
    Lasst uns alle dankbar sein, dass wir die Konzepte der Musik-Industrie nicht so dringend brauchen – denn da hab ich mittlerweile das Gefühl einer Branche im Todeskampf zuzusehen – wo sich jeder noch freut, wenn er einen Konkurrenten auf dem Weg zum Selbstmord überholt hat. Da ist ja nun gar keine Linie mehr erkennbar ausser:
    Schnell noch alles Verramschen und die Künstler noch weiter Auspressen (ob bei Live oder Merchandise).

  7. Guter Tipp, den Du da hast, vielen Dank. Voraussetzung dafür ist aber, und das vermisse ich häufig auf Seiten der Kulturbetriebe, dass auch der Wert einer Karte vermittelt wird. Wenn in Budgets Ticketeinnahmen gar nicht oder völlig beliebig kalkuliert werden, sind sich die Verantwortlichen, so behaupte ich jetzt mal ganz pauschal, nicht wirklich darüber im Klaren, dass diese Karte etwas “wert” ist.

    Wenn mir der Wert dieser Karte nicht bewusst ist, dann kann ich sie zwar an andere verschenken. Aber wie sollen die dieses Geschenk wertschätzen können, wenn ich es selbst nicht kann? In dem Fall schade ich mir dann wahrscheinlich mit so einer Aktion mehr als sie mir nützen kann. Aber Dein Vorschlage gefälllt mir gut. Hast Du selbst schon mal so eine Aktion realisiert?

    Der Musikindustrie geht es wie viele andere Industrien, die den richtigen Zeitpunkt für innovative Veränderungen verpasst haben. Clayton M. Christensen erklärt das in seinem Buch “The Innovator’s Dilemma” sehr anschaulich. Ein Todeskampf ist es, denke ich, nur für die “Saurier” des Geschäfts. Andere sitzen da bereits in den Startlöchern, bereit deren Position zu übernehmen.

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