“Bauen Sie Systeme, die stören!”

Stören? Dazu wird man eher selten aufgefordert. Aber genau dazu ruft uns Peter Kruse, geschäftsführender Gesellschafter der nextpractice GmbH und Honorarprofessor für Allgemeine und Organisationspsychologie an der Universität in Bremen, in einem Videointerview auf, das ich bei Armin Karge entdeckt habe.

Mit dieser Aufforderung und der Behauptung, dass harmonische Systeme dumme Systeme seien, erinnert er mich an die von Sven Gabor Janszky postulierten Schritte auf dem Weg zur Innovation (siehe dazu meinen Beitrag “Kulturmanagement und Innovation: gehört das zusammen?“). Im zweiten Schritt fordert uns Janszky auf, die Leere zu suchen und uns aus unserem vertrauten Umfeld zu lösen.

Kruse vertritt die Ansicht, dass wir instabile Systeme brauchen, in denen Spannung herrscht. Nur auf diese Weise können wir, so Kruse, einen Prozessmusterwechsel herbeiführen.

Sein Rezept dafür: “Bauen Sie Netzwerke!”. Denn nur die Komplexität von Netzwerken sei dazu in der Lage, auf die komplexen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu reagieren.

Wäre das nicht auch etwas für den Kunst- und Kulturbereich? Vernetzung, wo immer es geht, aber nicht als geschlossene Veranstaltung, sondern als offenes instabiles System, aus dem heraus sich neue Wege für Kunst und Kultur ergeben.

Und noch einen Punkt aus diesem Interview möchte ich herausgreifen: für Kruse ist Kreativität nicht etwas, was sich direkt erzeugen lässt, sondern etwas, was in “indirekten Möglichkeitsräumen” entstehen kann, aber nicht muss. Wir können nur für die geeigneten Rahmenbedingungen sorgen, ob daraus Kreativität oder Innovation entstehen, weiß im Vorhinein niemand.

“Indirekte Möglichkeitsräume” und instabile Systeme: ist das nicht eigentlich genau der Rahmen, in dem es KünstlerInnen gelingt, ihre großartigen Werke zu produzieren? Hängt es von diesen Rahmenbedingungen ab, ob ein Kunstwerk “gut” oder “schlecht” wird? Und ist es dann nicht die Aufgabe von KulturmanagerInnen, diese Möglichkeitsräume zu schaffen und Netzwerke zu knüpfen, die sich durch eben diese Instabilität auszeichnen?

In diesem Zusammenhang ist Kruses Antwort auf die Frage, was er mache, um klug zu sein, ganz aufschlussreich. Er versuche Netzwerke zu bauen, die aus drei verschiedenen Charakteren von Menschen bestehen, so der Professor. Dem “Creater”, der seine Mitmenschen immer wieder störe, weil er ständig mit neuen Dingen komme, dem “Owner”, der über jede Menge Wissen verfüge und dem “Broker”, der sich dadurch auszeichne, dass er in jeder Situation Menschen kenne, die etwas wissen.

Ob es uns gelingt, solche Systeme, die stören, zu bauen? Ich bin gespannt.


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Kommentare

14 Antworten zu „“Bauen Sie Systeme, die stören!”“

  1. Jo, ich kann die komlette Interviewreihe empfehlen
    Prof. Peter Kruse – Komplexität, Vernetzung und Gehirne

    und auch diese Statements
    Kreativität, Kybernetik und Unternehmertum

    Zum Kulturbegriff (Unternehmenskultur…) findest du z.B. das hier 07 Meilensteine der Kulturentwicklung

  2. Recht hat er!

    Bezogen auf Globalisierungsängste und deren Auswirkungen braucht es jetzt nur noch eine gewisse Quantität an Störern.

    Bezogen auf Deutschland: Die Quantität der Störer ich (noch) sehr gering.

    Aber ich arbeite künstlich dran… :-)

  3. @ Michael: auch diesmal wieder vielen Dank für die Links :-) Was mich bei Prof. Kruse beeindruckt ist seine Sprache, in der er die Dinge sehr anschaulich und verständlich auf den Punkt bringt. Beeindruckend, da können sich viele eine Scheibe von abschneiden.

    @ Anne: nicht nur in Deutschland ist die Zahl der Störer gering, ich denke, das ist ein weltweites Problem.

    “Aber ich arbeite künstlich daran…” Sehr sophisticated :-) Ich gestehe, ich habe diesen Satz erst beim zweiten Durchlesen verstanden…

    Kruse liefert einige Argumente, wenn es darum geht, Antworten auf die Frage zu finden, warum wir eigentlich Kunst brauchen. Das gefällt mir…

  4. Interessant finde ich die Aussage in der Wikipedia bei NLP unter Vorannahmen:
    In einem ansonsten gleich bleibenden System kontrolliert das Element mit den größtmöglichen Verhaltensmöglichkeiten das System.

  5. @ Michael: und was machen wir? Anstatt dieses Element wertzuschätzen, versuchen wir es zu reglementieren und in ein starres Korsett zu zwängen. Matthias Schwenk hat in seinem neuen Blog beyond workflow ein sehr anschauliches Beispiel beschrieben. Zurück in die Reihe kommt halt viel besser an…

  6. German_Angst, lol das kannte ich noch gar nicht ;-) (und gut das ich jetzt weiss wo Matthias “weiter lebt”…)

    Das mit dem Element dachte ich eigentlich auf eine Person bezogen.
    Hab allerdings nicht viel Plan von NLP, du aber doch…

    Ich denke, es kommt immer auf die Perspektive an, ob einem Reglementierung gefällt oder nicht. Wenn sogar ein Herr Ackermann plötzlich nach mehr Kontrolle im Finanzsektor ruft…naja wie gesagt, die Perspektive und Umstände.

    Und bei jeder Systemsicht ist die eigene Position entscheidend.
    Ein (Soziales) System kann man am einfachsten Beeinflussen wenn man Teil des Systems ist. Wenn man zur Umwelt gehört, muss man mit dem System schon sehr eng gekoppelt sein um was zu erreichen. Egal wie, es gilt Anschlussstrukturen zu finden (Luhmann). Bin bei dem Thema allerdings noch “beta”, wenn nicht sogar “alpha”.

    Zwei Begriffe spuken momentan in meinem Schädel: Assimilation und Akkomodation…

    Und was mir gerade zum Thema Angst noch einfällt:
    Angst ist ein oft gewähltes Mittel der Manipulation…

    Ich bitte dich im übrigen meine Gedanken vertraulich zu behandeln, also nicht das jemand aus Bayern das mit bekommt ;-).

    Wie lange braucht eigentlich so ein Kommentar von Deutschland bis nach Österreich?

  7. “Ein (Soziales) System kann man am einfachsten Beeinflussen wenn man Teil des Systems ist. Wenn man zur Umwelt gehört, muss man mit dem System schon sehr eng gekoppelt sein um was zu erreichen. Egal wie, es gilt Anschlussstrukturen zu finden (Luhmann)”

    Sehr schön formuliert. Bei mir klingt das dann etwas banaler: wenn du die Welt verändern willst, musst du dich verändern.

    Wenn ein Her Ackermann nach mehr Kontrolle verlangt, dann geht es ihm ja letzten Endes darum, das System (wieder) zu stabilisieren. Aber da wird es etwas kompliziert, denn letzten Endes hat “sein” (Finanz)-System Störungen in anderen Systemen hervorgerufen.

    Hast Du in diesem Zusammenhang auf die Begriffe Assimilation und Akkommodation angespielt?

    PS: Deine Gedanken müssen noch nicht vertraulich behandelt werden, der Beitrag hat noch keine 500 LeserInnen . Der Weg nach Österreich könnte demnächst lang werden, wenn die heute bekannt gewordenen Pläne zur Internetüberwachung umgesetzt werden. Schließlich braucht der mitlesende Beamte ja auch mal eine Pause. :-(

  8. Ja wie, noch keine 500 Leser? :-)
    Die müssten dann wohl noch Simultan lesen…

    Mit dem Ackermann wollte ich eigentlich nur darauf hinaus dass man Reglementierung will wenn diese den eigenen Interessen entgegen kommt.

    Bezogen auf die Internetüberwachung müsste man sich jetzt fragen, wessen Interessen dadurch negativ beeinflusst werden. Da wären wir wieder bei dem Thema Macht…

    Google z.B. hat sich ja gegen die komplette Freigabe von “Personenbezogenen” Daten gewehrt.

    Übrigens war der BND so nett, mir eine kostenlose Webcam zu installieren. Gibt´s sowas bei euch auch?

  9. ernst

    Also, ich will ja nicht gute alte zeiten heranschreiben oder auf ewig gestriges verweisen … aber was kruse da von sich gibt ist in den AAÖ´s (Arbeitskreis(e) alternative Ökonomie) in den 70er und anfang der 80er in jedem kneipennebenzimmer und wg diskutiert und angedacht worden … mit diversen umsetzungen in den damals entstanden netzwerken (von kleinen…siehe labels bis zu großen …siehe (damals) taz usw), die nun wirklich nicht harmonisch oder stabil oder gar auf die beschriebenen charakte verzichtet hätten. Netzwerke fürderhin auch eher Seilschaften sind immer instabil da der nutzen immer am eigenen nutzen ausgerichtet ist …die forderung nach instablilen Systemen ist gleich blanker Unsinn … Systeme sind instabil … (ackermann und konsorten sind nicht die einzigen beispiele hiefür). Netzwerke in der richtigen,realen perspektive und ohne rosa brille betrachtet sind ein notwendiges instrumentarium für jeglichen bereich (arbeit oder privat) um genau diese ”möglichkeitsräume” kreativität entstehen und ”beleben” zu können. aber das sag mal kulturarbeiterInnen.

  10. ja schon krass. An anderer Stelle wird noch über Aristoteles diskutiert, und die Frage nach der Substanz der Welt…

  11. ernst

    und wie sagte schon Aristoteles … es gibt nichts was nicht schon gesagt oder gedacht wurde (kann leider die quelle nicht angeben)

  12. @ Michael: das kommt darauf an, wo Du wohnst. :-) Wo sind Deine denn installiert und wie viele webcams hast Du bekommen?

    @ Ernst: da hast Du natürlich Recht. Aber gib mir eine Chance, ich saß in den 70er Jahren noch nicht in Kneipen. Und wenn, dann waren die Themen andere. ;-)

    Spaß beiseite: in Gruppen gibt es die Rangdynamik, was nichts anderes heißt, dass in ihr Veränderungen möglich sind, alpha-, omega-Position, etc. Nun kann es aber passieren, dass diese Gruppen in Institutionen übergehen und diese Dynamik verloren geht. Die Gruppe “erstarrt” und ist keine Gruppe mehr. Meine Frage: kann das in Netwerken nicht auch passieren?

    Und ganz praktisch gesehen: es gibt Netzwerke, in denen haben sich alle lieb, um es mal so zu formulieren. Da tut keiner dem anderen weh und der Ist-Zustand ist für alle in irgendeiner Form okay. Dann gibt es die, da fliegen die Fetzen.
    Zweite Frage: sind beide Netzwerke instabil und wenn ja, worin liegen dann die Unterschiede?

  13. Manueller Trackback:
    Juli 2008 im Kontext – Seite 2
    http://hyperkontext.at/weblog/artikel/juli-2008-im-kontext/P1/

    […] Armin Karge hat wieder einmal ein Interview mit Professor Peter Kruse etwas genauer analysiert und zitiert: “Harmonische Systeme sind dumme Systeme!” Auch Christian Henner-Fehr interpretiert und zitiert den Professor […]

  14. […] Diese drei bilden seiner Ansicht nach das menschliche Gehirn ab und lassen sich als intelligentes System verstehen, dessen „Summenintelligenz“ höher ist als die Intelligenz der beteiligten Menschen (siehe dazu auch mein Blogpost „Bauen Sie Systeme, die stören„). […]

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