Als ich letzte Woche im Rahmen des Forschungsprojekts audience+ des Instituts für Design und Kunst an der Hochschule Luzern etwas über das Web2.0 und dessen Potenzial für Museen erzählte, tauchte am Ende die Frage auf, ob das Web2.0 nicht Museen überflüssig machen würde. Ich denke nicht, weil wir uns zum Beispiel von der Vorstellung verabschieden müssen, dass wir entweder zu Hause vor dem PC sitzen oder vor Ort im Museum sind. Vor allem das mobile Web wird dazu beitragen, dass die Online- und die Offline-Welt immer mehr verschmelzen werden (siehe dazu u.a. meinen Beitrag “Das Museum als ‘living internet environment’“).
Zufällig bin ich jetzt beim Stöbern in den Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung auf einen Band gestoßen, der sich mit dem Thema “Museen und Gesellschaft” beschäftigt und ein paar sehr gute Beiträge enthält. Ganz interessant ist, was Peter Weibel in seinem Essay “Das Museum im Zeitalter von Web 2.0” geschrieben hat. In ihm zeigt er, dass sich einerseits die Rahmenbedingungen für Museen verändert haben, andererseits aber auch unser Kulturverhalten ein anderes geworden ist, für das hier der für das Web2.0 so wichtige user generated content steht.
Ausgangspunkt ist Weibels Feststellung, dass sich in den letzten Jahrzehnten das Verhältnis zwischen dem Markt, den Medien und den Museen verändert habe. Sowohl der Markt als auch die Medien leben vom Handel, vom Kauf und Verkauf und benötigen dafür Geld. Und das lässt sich vor allem dann verdienen, wenn man es schafft, Aufmerksamkeit zu produzieren. Oder, wie Weibel schreibt:
“Beide (Markt & Medien) verbindet die Gier nach Aufmerksamkeit, die durch Geld geliefert wird, und beide verbindet die Gier nach Geld, das durch Aufmerksamkeit produziert wird.”
Museen seien von diesem Kreislauf ausgeschlossen, weil ihnen das nötige Geld fehle, so Weibel. Nur wenn sie Sensationen liefern können, ziehen sie Aufmerksamkeit auf sich und haben, zumindest kurzfristig die Möglichkeit, das Spiel mitzuspielen.
Aber es gibt auch eine Kunst jenseits von Markt und Medien und um genau die sollten sich nach Weibels Ansicht die Museen kümmern. Ihre Vermittlungsarbeit bestehe darin, den verengten und verzerrten Blick, den Medien und Markt auf die Kunst werfen, zu erweitern und “damit den Zugang zur Welt, den die Kunst selbst öffnet, offen (zu) halten”.
Damit plädiert Weibel für eine Strategie, die ganz bewusst auf Sensationen verzichtet und stattdessen auf das Neue, das Unbekannte setzt. Das bedeutet auch, dass die Stars an Bedeutung verlieren und es zu einer Umorientierung in Richtung der Inhalte kommt.
Und noch etwas hat sich verändert und hier kommt nun das Web 2.0 ins Spiel. Weibel erkennt in der Kunst des 20. Jahrhunderts die Tendenz, den Betrachter selbst in den Mittelpunkt des Kunstwerks zu stellen und zitiert in diesem Zusammenhang Marcel Duchamp:
“Alles in allem wird der kreative Akt nicht vom Künstler allein vollzogen; der Zuschauer bringt das Werk in Kontakt mit der äußeren Welt, indem er dessen innere Qualifikationen entziffert und interpretiert und damit seinen Beitrag zum kreativen Akt hinzufügt.” (Marcel Duchamp, The Creative Act, Rede, Convention of the American Federation of Arts, Houston, TX April 1957)
Mit dem Web 2.0 und dem Phänomen des User generated content wird aber ein nächster Schritt gesetzt. Bis jetzt seien, so Weibel, Kunstwerke von Künstlern zum Benutzen des Betrachters geschaffen worden. Nun könne der Betrachter seine eigene Kunst ins Netz stellen, die dann wiederum von anderen betrachtet werden könne.
Für Weibel stellt sich die Frage, ob die Museen bereit sind, sich auf diese, wie er es nennt, “kulturelle Revolution” einzulassen. Die Antwort liefert er gleich mit:
“Wenn wir in Museen weiter so verfahren wie ein Fernsehsender, dass wir dem Besucher Werke in einer bestimmten Reihenfolge und zu einer bestimmten Zeit zeigen, also kuratieren wie ein Programmdirektor und programmieren wie ein Kurator, und der Betrachter nicht die Möglichkeit hat, selbst ein Programm zusammenzustellen, dann wird das Museum obsolet.”
Ins Museum werde dann nur noch gehen, wer das Kulturverhalten des 19. und 20 Jahrhunderst verspüren wolle, so Weibel weiter.
Dass er mit dieser Sichtweise auf manchen Widerstand stoßen wird, ist klar, denn, so Weibel:
“(d)as bedeutet den Abschied von der Heuristik, der vielen Leuten nicht gefallen wird, aber es ist eine Revolution, durch die sich die Amateure, die “Idioten”, die Konsumenten – das ist mein Schlagwort – zum ersten Mal emanzipieren können. Die Konsumenten können versuchen, zu Experten zu werden.”
Mir fällt in diesem Zusammenhang mein Beitrag “‘Amateure im Web2.0’: (k)ein Konferenzbericht” und die sich daraus ergebende Diskussion in den Kommentaren ein. Bezogen auf das Web 2.0 geht es nicht nur um die Frage, wie es sich für Kulturbetriebe zu Marketing- oder PR-Zwecken einsetzen lässt, sondern um ein verändertes “Kulturverhalten”, wie es Weibel nennt. Was für Auswirkungen hat das Web 2.0 für die Kunst und nicht nur für das Marketing? Was für ein Spannungsverhältnis entsteht da zwischen denen, die sich KünstlerInnen nennen und denen, die sich als Amateure bezeichnen?
Interessant in diesem Zusammenhang: Simon A. Frank wird im Rahmen der stART.09 einen Vortrag halten, der den Titel trägt: “User-generated culture. Die inhärente Kompatibilität von Internetpraxis, Kunst- und Kulturtheorie als Fundament zukünftiger Kulturangebote.” Darin wird er Ergebnisse aus einem aktuellen Forschungsprojekt präsentieren, “in dem historische und moderne Kunst- und Kulturkonzepte, die den aktuellen Diskurs des deutschsprachigen Kulturbetriebes dominieren, einem Re-Reading, einer erneuten Lektüre unter neuen Vorzeichen unterworfen werden”, wie er in seinem Abstract schreibt. Die Diskussion muss also erst einmal geführt werden.
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