Stellen Sie sich folgende Situation vor: als kleiner Kulturverein haben Sie für Ihr kommendes Projekt eine Förderzusage von der Stadt bekommen. Leider reicht das Geld aber nicht ganz aus, da erfahren Sie von einer Bank, die eine Geldsumme ausschreibt, die für die Realisierung Ihres Vorhabens ausreichen würde. Der Haken an der Sache: mit dem üblichen Ausfüllen eines Formulars ist es nicht getan, denn nicht die Bank entscheidet, sondern die BürgerInnen.
Konkret: zwei Projektvorhaben werden ausgewählt und präsentieren sich in einer Art Wettbewerb den interessierten BürgerInnen. Diese dürfen wählen, wer von beiden das Geld bekommt. Im Unterschied zu vielen anderen Wettbewerben funktioniert er nicht nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, sondern die Auszahlung erfolgt entsprechend dem Stimmenanteil, den die beiden Projekte jeweils erhalten haben.
So ähnlich funktioniert das Projekt BÜRGERwirken, das Brigitte Reiser auf ihrem Posterous-Blog nonprofit’s vernetzt vorstellt:
“(Die BürgerInnen) erhalten die Chance, über die Aufteilung einer Spende zwischen zwei gemeinnützigen Einrichtungen mitzuentscheiden, indem sie online für eine der beiden Einrichtungen stimmen. Die Einrichtungen ihrerseits erhalten die Möglichkeit, sich über einige Wochen hinweg auf dem begleitenden Projektblog vorzustellen und über die Kommentarfuntion in einen Dialog mit den Lesern bzw. der örtlichen Bürgerschaft zu treten.”
Derzeit läuft gerade die “Schwerter Challenge“, bei der die BürgerInnen entscheiden können, wie die 2.000 Euro, die die örtliche Sparkasse zur Verfügung stellt, auf die beiden Kultureinrichtungen aufgeteilt werden. Wie gesagt, jede Stimme zählt, die Summe wird am Ende entsprechend dem Stimmenanteil aufgeteilt.
Per Twitter fragte Brigitte Reiser nach Meinungen zu dieser Art, private Fördergelder zu verteilen. Ein Vorwurf lautete, die Politik würde sich so der Verantwortung entziehen, wenn es um das Setzen von Schwerpunkten gehe. Ich hätte vor allem Angst, dass solche Aktionen ein willkommener Anlass sind, die öffentlichen Kulturbudgets weiter zu kürzen bzw. nicht zu erhöhen. Was inhaltliche Schwerpunkte angeht, so zeichnet sich die Kulturpolitik ja schon länger nicht mehr durch einen besonders ausgeprägten Gestaltungswillen aus. Da würde sich also nicht viel ändern.
Ein bedenkenswerter Einwand kam vom Österreichischen Jüdischen Museum (übrigens eines der lesenswertesten Museumsblogs im deutschsprachigen Raum) in Eisenstadt. Dort kann man sich so eine Art Wettbewerb zwar durchaus vorstellen, glaubt aber, dass polarisierende Kultureinrichtungen dabei im Nachteil sind, so die Antwort auf Twitter.
Ganz von der Hand ist diese Sorge nicht zu weisen, denn so eine “Challenge” könnte sehr schnell politisch aufgeladen und missbraucht werden. Nach Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit muss man gerade in Österreich ja nicht lange suchen. Auf der anderen Seite kann so eine “Challenge” aber auch dazu beitragen, dass die BürgerInnen nicht mehr nur als “Stimmvieh” alle paar Jahre an die Urnen gehen, sondern die Gesellschaft aktiv mitgestalten können. Das heißt, es besteht die Chance, dass die BürgerInnen an ihrer Verantwortung wachsen. Dazu bräuchte es aber mehr partizipative Ansätze. Die Entscheidung darüber, wie die 2.000 Euro aufgeteilt werden, ist da nur ein erster Schritt.
Schreibe einen Kommentar Antworten abbrechen