Diese kleine Grafik zeigt das stark wachsende Interesse am Suchbegriff “Storytelling” auf der Social Bookmarkingplattform Delicious. Was aber versteckt sich hinter dem Begriff, der zunehmend inflationär gebraucht wird? Sind wir nun alle Storyteller und erzählen Geschichten?
Geschichten bedürfen einer Handlung, die sich, so können wir in Aristoteles Poetik nachlesen, durch einen Anfang, eine Mitte und ein Ende auszeichnet und nach bestimmten Regeln “funktioniert”. Eine Handlung besteht aus bestimmten Elementen, die in einer bestimmten Reihenfolge miteinander verbunden sind. Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang von der Ganzheit und Einheit der Handlung.
“Demzufolge dürften Handlungen, wenn sie gut zusammengefügt sein sollen, ‘nicht an beliebiger Stelle einsetzen noch an beliebiger Stelle enden’, sondern müssten sich an die genannten Grundsätze halten”,
zitiert Wikipedia aus dem aristotelischen Werk. Handlungen erleben wir jeden Tag in unendlicher Zahl, aber nicht jede Handlung, jedes Erlebnis ist eine Geschichte. Karolina Frenzel, Michael Müller und Hermann Sottong weisen in ihrem – im übrigen sehr lesenswerten – Buch Storytelling
“Erzählt werden die Erlebnisse, die ‘ereignishaft” sind, in denen ‘irgendetwas passiert’, das aus dem Normalen herausgehoben ist.” (S.54)
Die über das Ereignis berichtende Geschichte enthält eine Botschaft, folgt bestimmten Regeln (Einheit von Zeit, Handlung und Raum) und funktioniert nach einem vorher festgelegten Muster oder Modell. Frenzel, Müller und Sottong beschäftigen sich in ihrem Buch mit dem Modell der Heldenreise, die aus fünf Phasen besteht:
- “Der Ruf des Abenteuers
- Der Aufbruch ins Unbekannte
- Der Weg der Prüfungen
- Der Schatz
- Die Rückkehr.”
Die wohl bekannteste Heldenreise erlebte Odysseus, der nach dem Ende des Trojanischen Krieges zehn Jahre benötigte, um wieder in die Heimat zurückzukehren.
Wird durch eine solche Geschichte Wissen vermittelt, sprechen wir von Storytelling als einer Erzählmethode, die es den ZuhörerInnen ermöglicht, den Gehalt der Geschichte zu verstehen und anzunehmen. Inhalte in Form einer Metapher zu transportieren ist ein Ansatz, der in vielen Bereichen zum Einsatz kommt, zum Beispiel auch im Management. Einer der bekanntesten Vertreter des “Organizational Storytelling” ist Steve Denning, der zu diesem Thema mehrere Bücher verfasst hat, unter anderem The Springboard. How Storytelling Ignites Action in Knowledge-Era Organizations
Was aber ist nun Storytelling genau? Seit einiger Zeit hören und lesen wir permanent über Storytelling oder, wie es Raf Stevens in seinem Blogpost “What the F**k is Storytelling?” formuliert:
“Although it is getting a fair amount of positive attention (thank got!) storytelling is also becoming some sort of umbrella word for everything and nothing.”
Dieser Vorwurf ist mittlerweile häufig zu hören und er scheint nicht ganz unberechtigt zu sein, denn allzuoft werden Erlebnisse erzählt, aber keine Ereignisse. Was also ist eine Story? Stevens zitiert einen acht Jahre alten Artikel von Bronwyn Fryer. Der schreibt in “Happy Tales: The CEO as Storyteller“:
“Essentially, a story expresses how and why life changes. It begins with a situation in which life is relatively in balance: You come to work day after day, week after week, and everything’s fine. You expect it will go on that way. But then there’s an event—in screenwriting, we call it the “inciting incident”—that throws life out of balance. You get a new job, or the boss dies of a heart attack, or a big customer threatens to leave. The story goes on to describe how, in an effort to restore balance, the protagonist’s subjective expectations crash into an uncooperative objective reality. A good storyteller describes what it’s like to deal with these opposing forces, calling on the protagonist to dig deeper, work with scarce resources, make difficult decisions, take action despite risks, and ultimately discover the truth. All great storytellers since the dawn of time—from the ancient Greeks through Shakespeare and up to the present day—have dealt with this fundamental conflict between subjective expectation and cruel reality.”
Auch hier wird klar: es geht um ein Ereignis, das den “Helden” aus dem Gleichgewicht bringt, um einen Konflikt. Dessen Geschichte wird dazu verwendet, um Wissen zu transportieren. Storytelling kann dann, wie es Leanne White in einem Kommentar zu Raf Stevens Artikel formuliert, so beschrieben werden:
“It’s the art of weaving a message into the hearts and minds of the audience, by drawing upon a similar situation, analogy or metaphor – using whatever medium or platform will engage or most inspire them.”
Oder noch klarer mit den Worten von Frenzel, Müller und Sottong:
“Storytelling heißt, Geschichten gezielt, bewusst und gekonnt einzusetzen, um wichtige Inhalte besser verständlich zu machen, um das Lernen und Mitdenken der Zuhörer nachhaltig zu unterstützen, um Ideen zu streuen, geistige Beteiligung zu fördern und damit der Kommunikation eine neue Qualität hinzuzufügen.” (S.3)
Erst die Botschaft und das damit verbundene übergeordnete Ziel macht aus einem Geschichtenerzähler einen Storyteller. Es geht nicht darum, nette Anekdoten erzählen zu können oder die Zeit unterhaltsam vergehen zu lassen, sondern im Vordergrund steht ein Ziel, dass mit Hilfe dieser Methode erreicht werden soll. Sonst ist Ihre Geschichte halt einfach nur… nett.
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