In der Vorbereitung auf diesen Beitrag habe ich unter anderem bei Google nach der “Zukunft der Kulturpolitik” gesucht und interessanterweise tauchen auf der ersten Seite der Trefferliste mehrheitlich Verweise auf Artikel, Veranstaltungshinweise, etc. auf, die sich bezüglich der Zukunft von Kulturpolitik eher skeptisch äußern. So stellte sich etwa Martin Wassermair schon vor drei Jahren die Frage, ob sich über Kulturpolitik “in Zeiten ihrer Selbstauflösung” überhaupt diskutieren lasse? Eine traurige Geschichte, wenn andererseits immer wieder die Bedeutung von Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft betont wird.
Ich selbst habe in der Vergangenheit immer wieder die Visionslosigkeit der Kulturpolitik kritisiert und die Frage gestellt, ob es Kulturpolitik überhaupt noch gebe? Nachdem ich das neue Buch von Michael Wimmer, Kultur und Demokratie. Eine systematische Darstellung von Kulturpolitik in Österreich
Was aber versteckt sich hinter dem Begriff Kulturpolitik eigentlich. Wer sich auf Wikipedia informiert, ahnt schon, dass die Beschäftigung damit nicht so ganz einfach ist. Wimmer verweist gleich zu Beginn seines Buches auf ein Dilemma, denn die Kunst versuche sich einerseits der Politisierung zu entziehen und sei andererseits in der Praxis auf diese angewiesen. Heraus kommt
“eine Art spätromantisches Mäzenatentum, dessen einziges Interesse darauf gerichtet ist, dass es Kunst gibt.” (S.15)
Auch wenn es oft so scheinen mag, aber die Autonomie der Kunst stellt noch kein kulturpolitisches Programm dar und es bleibt die Frage, welche Interessen denn in der Kulturpolitik durchgesetzt werden sollen? Zuvor skizziert Wimmer aber die gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und macht deutlich, dass sich auch die Kunst letzten Endes nicht gegen die fortschreitende Ökonomisierung aller unserer Lebensbereiche wehren konnte und wir heute Abschied genommen haben von der Idee, Kulturpolitik könne auch als Gesellschaftspolitik verstanden werden.
Aber noch eine zweite Entwicklung verändert die Rahmenbedingungen: die wachsende Ethnisierung des Sozialen:
“Je mehr sich die ökonomischen Konkurrenzverhältnisse zwischen den Menschen verschärfen, desto eher würden ethnische und damit auch kulturelle Differenzen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft als Ab- bzw. Ausgrenzungskriterium (…) ins Treffen geführt,” (S.24)
beruft sich Wimmer auf den Politikwissenschaftler Christoph Butterwege. Die Kulturalisierung des Sozialen führt dazu, dass unterschiedliche Kulturen eher als Kampfplatz denn als Hort von Innovation gesehen werden.
Natürlich kommt man in einem solchen Buch nicht umhin, den Begriff der Kultur zu definieren. Wimmer geht hier sehr geschickt vor und beschreibt “lediglich” die Spannungsfelder (Zivilisation, Bildung, Religion, etc.), in denen sich “Kultur” bewegt. Zur Sprache kommt dabei (natürlich) auch die Beziehung der beiden Bereiche Kunst und Kultur. Wimmer konstatiert, dass wir nicht nur umgangssprachlich, sondern auch im kulturpolitischen Fachdiskurs dazu neigen, beide Begriffe synonym zu verwenden. Dass dem nicht immer so war, zeigt Wimmer am Beispiel Gottfried Benns, der sich vehement dagegen aussprach, die Kunst als repräsentative Ausdrucksform von Kultur zu verstehen.
Ähnlich schwierig stellt sich die Annäherung an den Begriff Kulturpolitik dar. Wimmer sieht eine enge Verknüpfung zwischen den jeweiligen politischen Systemen und ihren kulturellen Ausformungen. Die Beobachtung Friedrich Schillers, dass es der Kunst immer dann gut ging, wenn es den Menschen schlecht ging, oder, wie es Wimmer formuliert,
“dieses offenkundige Auseinanderklaffen zwischen demokratischen Errungenschaften und institutionellem Niedergang des Kulturbetriebs” (S.87)
veranlasst ihn dazu, sich das Verhältnis der verschiedenen politischen Modelle zu ihrem Kulturbetrieb genauer anzuschauen und zwischen einem liberalen, einem wohlfahrstaatlichen, einem republikanischen und einem ästhetischen Verständnis zu unterscheiden. Die historische Entwicklung hat dazu geführt, dass wir es heute, wenn wir die institutionelle Basis von Kulturpolitik betrachten, mit unterschiedlichen Modellen zu tun haben. Den meisten von uns sind das zentralistische und das föderalistische Modell wohl bekannt, während das außerdem von Michael Wimmer beschriebenen para-staatliche Modell, das Modell des staatlichen Kulturunternehmers sowie das transnationale Kooperationsmodell eher selten genannt werden.
Aus den unterschiedlichen Modellen ergibt sich auch ein unterschiedliches Instrumentarium, um staatliche Kulturpolitik betreiben zu können. Die Republik Österreich zum Beispiel verfügt über Sammlungsbestände der vormaligen Herrscherhäuser, kümmert sich aber nicht nur um die Pflege und den Erhalt dieser Sammlungen, sondern tritt auch aktiv als Käuferin von Kunstwerken auf. Diesen akquisitiven stehen restriktive Maßnahmen gegenüber, in denen bestimmten, als schädlich betrachteten Entwicklungen wie zum Beispiel dem Wiener Aktionismus der Kampf angesagt wurde.
Ausgestattet mit diesem Wissen folgt man dem Autor gerne in Richtung österreichischer Kulturpolitik. Welche historischen Wurzeln hat sie, wie ist die Kunst- und Kulturverwaltung organisiert und welche Größe weist das Budget für diesen Bereich auf? Darauf aufbauend bietet der Autor dann eine eingehende Analyse des “Politikfeldes Kulturpolitik in Österreich”, wie er das siebte Kapitel des gut 400 Seiten dicken Buches überschrieben hat. Wimmer konzentriert sich dabei auf die Rahmenbedingungen (polity), Prozesse und Verfahren (politics) und die politischen Inhalte (policy).
Vor allem der letzte Punkt hat mir oft überraschende Einblicke in die Konzepte und inhaltlichen Vorstellungen derer, die in den letzten Jahrzehnten die österreichische Kulturpolitik bestimmt haben, gewährt. Für Wimmer stehen hinter der österreichischen Kulturpolitik bestimmte Ansprüche, die ideologisch unterlegt sind und völlig unterschiedliche Auswirkungen auf die kulturpolitische Praxis haben. Wimmer unterscheidet dabei zwischen folgenden Ansätzen:
- dem konservativen Anspruch: dahinter verbirgt sich der Wunsch, eine “durch den Kulturbetrieb repräsentierte kulturimperiale Sonderrolle Österreichs” zu bewahren, die auf der einstigen Größe des Landes aufbaut.
- dem demokratiepolitischen Anspruch: Kulturpolitik als ein Instrument zur “Harmonisierung der Gesellschaft”, dieser Glaube trieb vor allem die Regierung unter Bruno Kreisky an.
- dem kultur- bzw. gesellschaftsliberalen Anspruch: den KünstlerInnen und Intellektuellen kommt eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung zu; sie sind es, die Diskurse führen und die gesellschaftliche Entwicklung auch über ihr Kunstschaffen vorantreiben.
- dem wirtschaftsliberalen Anspruch: wirtschaftliche Argumente gewinnen an Bedeutung, die Entwicklung geht in Richtung Kulturwirtschaftspolitik, das Ergebnis ist eine Ökonomisierung des Bereiches.
- dem nationalen Anspruch: Kunst und Kultur als Instrumente, um sich gegenüber dem Fremden abzugrenzen und der damit verbundene Versuch, kulturelle Unterschiede zum Austragen sozialer und gesellschaftlicher Konflikte zu nutzen.
- dem integrativen Anspruch: die Idee einer Kulturpolitik, “die darauf abzielt, staatlicherseits eine Gleichwertigkeit kultureller Ausdrucksformen in einer ausdifferenzierten, demokratisch verfassten Gesellschaft herzustellen”. (S.307)
Hat man dieses Buch durchgelesen, sind die Defizite der österreichischen Kulturpolitik offensichtlich. Aber das Wissen um die Ursachen dieser Defizite können der Ausgangspunkt für die so dringend benötigten Veränderungen im österreichischen Kunst- und Kulturbereich sein. Michael Wimmer hat nicht nur in seinem Buch, sondern auch in einem eigenen Text Empfehlungen ausgesprochen, über die es sich zu diskutieren lohnt. Als Anstoß zur Diskussion hat er sein Buch auch verstanden. Das Zeug dazu hat es, es lohnt sich, das Buch zu lesen. Fragt sich, ob jemand da ist, der es diskutieren möchte?
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