“Eingang Schloss Blutenburg“; By Björn Láczay (CC BY-SA 2.0)
Man fühlt sich in die weit entfernte Vergangenheit zurückversetzt, wenn man durch dieses Tor das Schloss Blutenburg betritt. Vor rund einem halben Jahrtausend als Jagdschloss weit vor den Toren der Stadt genutzt, liegt es heute im Münchener Stadtteil Obermenzing, direkt am Beginn der Autobahn Richtung Stuttgart und ist Sitz der Internationalen Jugendbibliothek. Nicht um die Vergangenheit, sondern um ein Zukunftsthema ging es letzte Woche hinter diesen Mauern, denn deren Direktorin, Frau Dr. Raabe, hatte zu “Liter[fu]tur” eingeladen, einer Veranstaltung, bei der es einen ganzen Tag um die Frage gehen sollte, wie die Zukunft von Literaturausstellungen im Internet aussehen könnte?
Die Ausgangssituation war komplex, aber spannend. Im Rahmen eines World-Café gab es drei Thementische, an denen es um Fluchtgeschichten in der Kinder- und Jugendliteratur, um Sportgeschichten (ebenfalls im Bereich Kinder- und Jugendliteratur) sowie um das Michael Ende-Museum ging. Die TeilnehmerInnen dieser Veranstaltung hatten sehr unterschiedliche Hintergründe und kamen aus den Bereichen Literatur, Kommunikation (Schwerpunkt Social Media) und Technik (Augmented Reality und ähnliches Teufelszeug). Und damit es nicht zu einfach wird, brachte die Leiterin der Jugendbibliothek in ihrem Inpulsvortrag noch die vier Eckpfeiler einer Ausstellung ins Spiel, nämlich
- das Exponat, also “die Ansammlung von Materialien, die in einer Ausstellung in sinnvolle Zusammenhänge gebracht werden”,
- Paratexte, die den Exponaten die entsprechende Bedeutung zuweisen,
- die räumliche Inszenierung und
- die AusstellungsbesucherInnen.
In jeder von insgesamt drei Runden mussten sich die TeilnehmerInnen an den einzelnen Tischen vorab für eines dieser vier Punkte entscheiden. Ein interessantes Ergebnis vorweg: Kein Tisch beschäftigte sich mit den Paratexten. Rückschlüsse vermag ich nicht daraus zu ziehen und kann deshalb nicht einschätzen, ob das Thema so uninteressant ist oder etwa Paratexte im Internet eine Selbstverständlichkeit sind.
Da ich die Veranstaltung moderieren durfte, war ich nie direkt in die intensiv geführten Diskussionen involviert, hatte aber den Vorteil, überall reinhören und am Ende die Ergebnisse zusammenfassen zu dürfen. Wenn ich jetzt hier ein paar der letzte Woche in München diskutierten Punkte anspreche, erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern greife mir sehr subjektiv einige Aspekte heraus.
Eine der interessantesten Erfahrungen war es für mich zu erleben, wie Menschen mit verschiedenen beruflichen Hintergründen (Literatur, Kommunikation, Technik) auch ganz unterschiedlich an das Thema herangehen. Um das etwas zuzuspitzen, gab es in der Einstiegsrunde sehr homogene Gruppen, d.h. die Literaturmenschen waren genauso unter sich wie die Kommunikations- und die Technikmenschen. Die Ergebnisse an den drei Tischen waren so völlig unterschiedlich und die Vorgaben für die nächsten Runden dementsprechend herausfordernd. Aber am Ende lief es dann doch auf einzelne Punkte hinaus, die unabhängig von beruflicher Herkunft und Thema alle beschäftigt haben.
So ist es im Hinblick auf die “BesucherInnen” einer virtuellen Literaturausstellung für alle das große Ziel, sie emotional anzusprechen und ihnen ein sinnliches Erleben zu ermöglichen. Das kann mit Hilfe von Bildern, Videos oder auch Audiobeiträgen geschehen, allerdings gilt es, sich sehr genau zu überlegen, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen, vor allem im Hinblick auf partizipative Ansätze, die natürlich ein Thema waren. Spätestens an diesem Punkt kam das Thema Marketing ins Spiel. Während es den einen eher um Interaktion und virale Effekte ging, damit die virtuelle Ausstellung überhaupt gefunden werden kann, überwog bei den anderen der Vermittlungsgedanke. Ich denke, die Abgrenzung zwischen Marketing und Vermittlung ist auch deshalb so schwierig, weil wir nicht genau sagen können, wo die virtuelle Ausstellung aufhört und das Marketing anfängt (oder umgekehrt).
© Internationale Jugendbibliothek München
Während die BesucherInnen noch halbwegs greifbar sind, ist das bei den Exponaten nicht mehr so einfach. Immer wieder tauchte die Frage auf, ob eine virtuelle Literaturausstellung für sich alleine stehen oder an eine real existierende Ausstellung angeschlossen werden soll? Während ich in der klassischen Ausstellung Bücher als Exponate verwenden kann, kommt im virtuellen Raum noch eine Ebene dazu. Hier kann ich nur das Bild eines Buches zeigen, in dem der Text zu finden ist. Welche Rolle spielt der literarische Text in einer virtuellen Literaturausstellung? Kann ich den ganzen Text online stellen und die Linearität des Textes, die mir gleichzeitig als Orientierungsrahmen dient, mit Hilfe von Hyperlinks aufbrechen und so Platz für die “räumliche Inszenierung” schaffen? Und welche Rolle spielt User Generated Content? In der klassischen Literaturausstellung existiert er nicht, im virtuellen Raum kann er technisch gesehen verhältnismäßig leicht eingebunden werden. Aber möchte ich das als KuratorIn überhaupt? Und wenn ja, sind das dann lediglich additive Exponate und welche Rolle spielen sie?
Auf diese wie auch auf viele andere Fragen haben wir an diesem Tag keine endgültigen Antworten gefunden, eher neue Fragen. Aber das war auch das Schöne und Inspirierende an diesem Tag, wir mussten keine fertigen Lösungen finden. Aber es sind viele Ideen aufgetaucht, die es sich weiter zu verfolgen lohnt.
Aber es ging nicht nur um tolle Einfälle und kreative Ideen, sondern auch um die Voraussetzungen für eine virtuelle Literaturausstellung. Sämtliche Exponate müssen nicht nur in digitaler Form vorhanden sein, sondern es gilt auch, diese Daten in eine entsprechende Struktur zu geben. Ob wir es Nomenklatur, Ontologie, Taxonomy oder Normdatensatz nennen, spielt gar keine entscheidende Rolle. Sollen die Daten später etwa gefiltert werden, bedarf es einer entsprechenden Ordnung. Auch sehr wichtig, vor allem wenn es um das Marketing, insbesondere Social Media geht: Die Objekte müssen teilbar sein, um sie in den sozialen Netzwerken zirkulieren zu lassen und so virale Effekte zu erzeugen.
Vernetzung ist aber nicht nur in Sachen Marketing gefragt. Auch die inhaltliche Beschäftigung mit einem Thema ist wohl dann besonders nachhaltig, wenn es mir gelingt, die BesucherInnen zum gemeinsamen Tun zu bringen. Aus bilateralen Beziehungen zwischen einem Museum und seinen jeweiligen BesucherInnen werden mulitlaterale Beziehungen, wenn letztere sich ebenfalls vernetzen. Spiele sind ein oft verwendeter Ansatz, um dieses Ziel zu erreichen. Vernetzung und die daraus resultierende Kommunikation fallen dann leicht, wenn das Thema User Experience eine Rolle spielt. Dass auch (transmediales) Storytelling beziehungsweise die Entwicklung von Storywelten von großer Bedeutung ist, muss nicht extra erwähnt werden. So wird aus dem digitalen Erzählen ein digitales Erleben.
Kurz: Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Tag mit einer Reihe von ExpertInnen verbringen durfte und wir ausgiebig über dieses Thema diskutieren konnten. Ich habe viele Anregungen und Impulse mitgenommen und hoffe, dass diese Veranstaltung irgendwann einmal fortgesetzt wird. Offene Punkte gibt es mehr als genug. ;-)
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