Das Volkskundemuseum als Veranstaltungsort des stARTcamp 2019

Das Internet als ein demokratischer Diskursort

Im Vorfeld des stARTcamps habe ich Dr. Matthias Beitl, dem Direktor des Volkskundemuseum Wien, per Email einige Fragen gestellt.

Kulturmanagement Blog: Zuerst einmal möchte ich mich bei Ihnen für die Gastfreundschaft bedanken. Wir freuen uns, heute bei Ihnen mit dem stARTcamp zu Gast sein zu dürfen. Das Volkskundemuseum ist ein sehr geschichtsträchtiges Museum, es wurde bereits 1895 gegründet. Ich habe in den Jahren, in denen wir mit dem stARTcamp in einer Kultureinrichtung zu Gast waren, fast immer im Vorfeld ein Interview geführt, in dem es um den digitalen Wandel ging. Das empfinde ich bei einem Haus mit so einer langen Geschichte als besonders interessant.

Im Mission Statement kann man nachlesen, dass sich das Haus in der Auseinandersetzung mit seinen Sammlungen mit der Kultur und ihren materiellen Äußerungen beschäftigt. Dabei geht es um Selbst- und Fremdbilder, um Identitäten und Vorstellungswelten sowie um soziale Räume und gesellschaftliche Prozesse. Welche Rolle spielt denn in all diesen Entwicklungen, die Sie beobachten der digitale Raum, der ja vor allem ein sozialer Raum ist, weil er letzten Endes von der Dynamik, der Interaktion lebt?

Der digitale Raum als ein Ort der Versammlung und Auseinandersetzung

Matthias Beitl: Als Museum nützen wir den digitalen Raum, um unsere Inhalte und Haltung zu kommunizieren. Da Museen keine neutralen Orte, sondern Dealer von Wissen und Werten sind, ist der digitale Raum ein wesentlicher Teil der Vermittlungsarbeit. Konkret auf unsere Inhalte bezogen sehen wir den digitalen Raum als einen politischen Raum im Sinne der Agora, als einen Ort der Versammlung und Auseinandersetzung. Das steht jedoch im Gegensatz zu dem „Hassraum“, den bestimmte politische Haltungen durch ihre ideologischen Funken zünden.

Abgesehen davon ist der digitale Raum für uns auch das „Feld“ und somit Teil der Empirie. Dort bilden sich ja gesellschaftliche Prozesse ab, deren spezifische Phänomene sich dann entweder gesamtheitlich oder auch nur zeichenhaft niederschlagen.

Kulturmanagement Blog: Sie verstehen das Museum als einen Ort, an dem gesellschaftliche Diskurse geführt werden. Ich habe den Eindruck, dass wir unsere Diskursfähigkeit mehr und mehr verlieren, obwohl wir immer mehr Kanäle dafür zur Verfügung haben. Wie sehen und erleben Sie die Entwicklung? Hat das Internet neue Diskursräume eröffnet? Oder sind die für den gesellschaftlichen Diskurs gar nicht (mehr) geeignet, Stichwort Filterblase?

Matthias Beitl: Ich glaube an Diskursräume im Internet, aber es ist halt ein emotionales Schreimedium. Im Grunde ist es ein sehr demokratischer Diskursort, in dem sich jede und jeder betätigen kann. Dabei schält sich natürlich die Realität von Charakter, Bildung, sozialer Bedingung heraus. Wir lernen direkter über Wertegefüge von Menschen, zumindest von jenen, die sich äußern.

Allerdings weiß man auch nicht mehr genau, wer dann die maschinengesteuerten Trolle sind und wer noch echt ist, in diesem Raum. Das ruiniert natürlich den Möglichkeitsraum, und wenn Behauptungen mittels Big Data individuell portioniert verabreicht werden, dann sperren wir uns selber ein.

Kulturmanagement Blog: Eva Menasse hat in einem Artikel in der NZZ den Standpunkt vertreten, dass die Digitalisierung unsere Kommunikation zerstört hat und wir nur noch eine personalisierte Öffentlichkeit haben, in der es keinen Streit und keinen Kompromiss gibt. Mark Zuckerberg propagiert gerade den Rückzug ins Private. Wo können wir denn den gesellschaftlichen Diskurs noch führen, wo führen Sie ihn als Museum?

Mitmachen im digitalen Raum ist schon fast demokratische Pflicht

Matthias Beitl: Ohne zu wissen, wie Zuckerberg seinen Rückzug ins Private sieht – und es ist auch egal – macht es schon Sinn, sich genau zu überlegen, wie sehr man „sich interagieren lassen will“. Bezogen auf Diskurse und Haltung meine ich, dass es Zeiten gibt, in denen ein Mitmachen im digitalen Raum fast schon demokratische Pflicht ist. Wenn wir mit Haltung und Körper auf die Demo gehen, sollten wir auch mit Haltung im virtuellen Raum unterwegs sein.

Foto: Inge Prader

Ich finde, unsere Kommunikation ist nicht zerstört. Ich denke an die vielen Interessensgruppen, denen es um Austausch und gemeinsame Interessen geht. Jede und jeder hat mehr Wahlfreiheit, alle sind Autorinnen und Autoren – wir sollten darauf Bedacht nehmen, was das bildungspolitisch heißt. Selbst wenn die medialen Inhalte immer kürzer und bildhafter werden, müssen wir uns zu jeder Zeit über die Auswirkung unseres Beitrags auf das Gesamtsystem im Klaren sein – das ist eine Verantwortung.

Kulturmanagement Blog: Wenn die sozialen Netzwerke angeblich out sind, nutzen Sie Facebook & Co überhaupt (noch)?

Facebook und Instagram als kommunikative Primärflächen

Matthias Beitl: Für uns sind Facebook und Instagram kommunikative Primärflächen, da wir kein Geld für klassische Werbeflächen haben. Da wir aber an so etwas wie einer polyphonen Institution arbeiten, wollen wir uns bemühen, weitere Kanäle – wie zum Beispiel Twitter – zu erschließen und laden auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, als Botschafterin und Botschafter des Museums im digitalen Raum unterwegs zu sein. Hier geht es um Fragen der gemeinsamen Haltung und des individuellen Sprechens darüber.

Kulturmanagement Blog: Sie sind ein Museum jenseits des Spektakulären. Wie schafft man es in einer Zeit, wo nur Superlativen zu zählen scheinen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und sie nicht sofort wieder zu verlieren?

Matthias Beitl: Wir machen Projekte, weil sie uns wichtig erscheinen. Wir arbeiten im Sinne einer Plattform mit vielen externen Initiativen zusammen, weil wir meinen, dass sie notwendig sind. Jenseits der Superlative lebt es sich interessanter, freier, herausfordernder, und die Effekte der eigenen Arbeit sind direkter ablesbar. Es ist ein persönlicheres Erlebnis, jenseits der Spektakulären, und ich glaube, dass Menschen solche kleinen übersichtlichen Räume mögen und brauchen.

Kulturmanagement Blog: Welche Kanäle nutzen Sie für Ihr Marketing und wieviel Zeit planen Sie für Ihre Onlineaktivitäten ein?

Matthias Beitl: Zurzeit nutzen wir Facebook und Instagram als Museum und durch ein paar von uns, die persönlich rund herum aktiv sind. Mit Newsletter arbeiten wir natürlich auch, außerdem legen wir großen Wert auf die Aktualität und Qualität unserer Homepage. Die Frage nach der Zeit ist schwierig, das hängt sehr von der Dichte des Programms ab. 10-20 Stunden pro Woche werden es wohl sein.

Kulturmanagement Blog: Und zum Schluss noch eine Frage, die ich anderen Kultureinrichtungen auch schon gestellt habe: Verändern sich durch die Digitalisierung Prozesse und Strukturen in Ihrem Museum?

Matthias Beitl: Ja sicher, beispielweise die Archivarbeit. Bei einer Sortierung und Aufarbeitung des Archivs werden viele interessante Inhalte zu Tage gefördert. Für ein Storytelling aus diesem Fundus sind digitale Kanäle bestens geeignet. Und dann ist da noch der ganze Sammlungsdigitalisierungsbereich, die Online Sammlungen, das Online Repositorium unseres Verlags, etc. Im Rahmen unserer Möglichkeiten sind wir schon mitten in der Digitalisierung.

Kulturmanagement Blog: Danke für Ihre Antworten!




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Eine Antwort zu „Das Internet als ein demokratischer Diskursort“

  1. […] Henner-Fehr hat auf seinem „Kulturmanagement-Blog“ den Direktor des Volkskundemuseums Wien interviewt. Dabei geht es vor allem um den digitalen […]

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