Twitterexperiment oder Marketingcoup?

Manchmal habe ich den Eindruck, Twitter dient nicht dazu, miteinander zu kommunizieren, sondern Glaubenskriege zu führen. Während die einen dieses 140 Zeichen-Tool verdammen, loben es die anderen in den Himmel. Aber wahrscheinlich ist das normal, schließlich lief das beim Handy ähnlich und beim Festnetztelefon auch, nur war das Thema schon durch, als ich mich dafür zu interessieren begann.

Zurück zum Thema Twitter: immer wieder bekomme ich in Gesprächen zu hören, dass Twitter völlig unsinnig sei, weil man dort nur Belanglosigkeiten zu lesen bekomme. So was zum Beispiel:

Man kann sich über solche Tweets aufregen, man kann sich aber auch darüber beklagen, dass die Follower die eigenen Links, die man via Twitter verteilt, nicht mehr anklicken. So wie Mario Schneider, der deshalb ein Twitter-Experiment gestartet hat. Die Kritik:

“Es scheint, als würde das Interesse an den Tweets anderer Follower immer weiter zurückgehen und im Gegenzug wird die ‘Marktschreierei’ immer größer”,

schreibt er in seinem Blogpost. Während nämlich 3.000 Follower Schneiders Links durchschnittlich 150 mal anklickten, werden seine Links von der mittlerweile doppelten Zahl nur noch 30 mal angeklickt.

So, und nun kommt das Experiment: im ersten Schritt stoppt Schneider die Verfolgung seiner 5.475 Twitterkollegen und folgt drei Wochen lang niemandem. Drei Wochen später folgt er dann nur noch oder wieder denen, die ihm diese drei Wochen lang die Treue gehalten haben. Begründung:

“So möchte ich erreichen, dass ich in Twitter nur noch denen folge, die sich auch für meine Tweets interessieren.”

Außerdem folgt Schneider nach diesen drei Wochen nur deutschsprachigen Nutzern zurück,

“(d)enn was bringen mir Follower, die meine Sprache nicht verstehen?”

Ach ja, und zwei Tweets muss man außerdem in den drei Wochen verschickt haben, sonst folgt einem Mario Schneider nicht.

“So möchte ich erreichen, dass meine Follower interessiert und aktiv sind und meine Sprache sprechen können.”

Also: ein Experiment ist ein Experiment und insofern gibt es an solchen Ideen eigentlich nichts auszusetzen. Nur: ein paar Denkfehler beinhaltet dieser Ansatz ja schon.

Punkt 1, die Links werden nicht mehr so oft angeklickt: da hat er sicherlich recht, aber mal ehrlich, lieber Herr Schneider: wahrscheinlich hat sich nicht nur die Zahl Ihrer Follower verdoppelt, sondern Sie folgen auch ungefähr doppelt so vielen Twitter-Usern. Ich wage zu behaupten, dass Sie genau aus diesem Grund auch das tun, was Sie anderen vorwerfen: Sie reduzieren die Linkklicks pro User, andernfalls müssten Sie doppelt so viele Links anklicken und diese Zeit haben Sie vermutlich gar nicht. Dieses Problem haben Sie, nehme ich an, nicht alleine, das geht allen so. Heraus kommt: Links werden weniger oft angeklickt, ein Phänomen, das wir schon aus der Blogosphäre kennen. Twitter ist nun mal kein Insidertool mehr, sondern ein Kanal, über den mittlerweile recht viele Menschen kommunizieren. Jahre- bzw. monatelang haben wir dafür geworben. Nun, wo es endlich geschafft ist, stellen wir fest, dass uns das gar nicht so gut gefällt.

Punkt 2, das Experiment: eigentlich ist es ja gar kein Experiment, sondern eine nette Marketingaktion. Hätte Mario Schneider diese Aktion ganz still und leise durchgezogen und danach darüber berichtet, dann wäre es wirklich ein Experiment gewesen. So bekommt jeder mit, was er vorhat und tut: nichts. In drei Wochen folgt ihm Mario Schneider nämlich wieder. Setzt er das wirklich in die Tat um, folgt er wahrscheinlich mehr Usern als vorher, was die Sache wahrscheinlich nicht überschaubarer macht. Hinzu kommen noch die, die von seinem Experiment gehört haben und sich denken: super, wenn ich ihm folge, folgt er mir in drei Wochen auch. Ich bin mir nicht sicher, ob die Qualität der Tweets, die er dann täglich vorgesetzt bekommt, dadurch besser wird.

Punkt 3: Schneider folgt nur deutschsprachigen Usern, weil ihm Follower nichts bringen, die seine Sprache nicht verstehen. Mit Verlaub: es ist ok, wenn man jemandem nicht folgt, weil man dessen Sprache nicht spricht. Ich folge User, die japanisch oder russisch twittern auch nicht, weil ich mit deren Nachrichten nichts anfangen kann. Warum aber sollten mir diese User nicht folgen? Woher weiß ich, ob sie meine Sprache verstehen oder nicht? Ihnen nicht zu folgen mit der Begründung, sie würden meine Sprache nicht verstehen, ist, man möge mich korrigieren, wenn ich etwas missverstanden habe, ziemlich unsinnig. Sie folgen mir, weil sie sich für mich interessieren. So wie ich jemandem folge, weil er mich interessiert und nicht, weil er mir folgt. Mit dieser Argumentation macht Schneider eigentlich genau das, was er kritisiert.

Punkt 4: Nur wer in den drei Wochen zwei Tweets verfasst, hat die Chance, dass Schneider ihm wieder folgt. Mal abgesehen davon, dass das etwas arg oberlehrerhaft wirkt, dieser Ansatz steht im Widerspruch zu Punkt 1. Mehr Tweets bedeuten wahrscheinlich auch mehr Links, denen wir begegnen. Nachdem wir aber nicht mehr Zeit für die vielen Links haben und die Zahl der User auch nicht entsprechend ansteigen wird, führt das dazu, dass die Links weniger oft angeklickt werden. Schneider unterstützt mit dieser Aktion also genau das, was ihn unter Punkt 1 stört.

Und was bringt Mario Schneider das Twitter-Experiment? Twittermäßig  wahrscheinlich gar nichts, aber sein Blogpost wird ordentliche Zugriffszahlen aufweisen. Und darum geht es ihm ja eigentlich, denn wie schreibt er auf seinem Blog so nett:

“Um die Reichweite seines Blogs und dessen Besucherzahlen zu vergrößern, bediente er sich schon bald verschiedener Strategien des Social Media Marketings. Dabei war ihm besonders das Zusammenspiel zwischen Twitter, Facebook, YouTube und dem eigenen Blog wichtig, um kostenlose und qualifizierte Besucher auf seinen Internetauftritt zu lenken.”

Nicht ungeschickt, oder?


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Kommentare

Eine Antwort zu „Twitterexperiment oder Marketingcoup?“

  1. Gute Marketing-Aktion :-)
    Natürlich interessiert sich nur ein Teil der Follower für meine Beiträge, aber das ist ja umgekehrt genauso. Followen und Re-Followen ist zum großen Teil reiner Selbstzweck und ich glaube keinem der behauptet, er sei da ganz uneitel.
    A propos Eitelkeit: Ein Grund warum ich Gerd Leonhard so mag, ist, dass er keinen Hehl daraus macht, Twitter fast ausschließlich zur Selbstvermarktung zu nutzen. Wenn man diese Absicht hinter “Experimenten” verbirgt, wirkt das ein bisschen Krampfig. Überhaupt sollte man dieses Medium nicht zu ernst nehmen, finde ich.

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