Qualitätsverlust durch Social Media?

Angenommen, Sie kaufen bei Amazon immer nur Krimis. Schon nach kurzer Zeit werden Sie von Amazon mit Mails beglückt, in denen man Ihnen Bücher vorschlägt, die für Sie interessant sein könnten. Um was für Bücher es sich dabei handelt ist leicht zu erraten: richtig, Ihnen werden Krimis vorgeschlagen. Dieser Vorschlag basiert auf dem Kaufverhalten anderer Amazon-NutzerInnen. Das mag für jemanden, der nur auf Krimis steht recht angenehm sein, denn so bekommt er immer wieder neue Anregungen. Krimis halt.

Ähnlich funktioniert das Prinzip bei last.fm, wo sie ausgehend von einem von Ihnen ausgewählten Titel ähnliche Songs vorgespielt bekommen. Die Musikrichtung wird dabei ziemlich konsequent beibehalten. Eine Zeit lang ist das ganz schön, aber so nach ca. 30 Minuten wird mir die Sache in der Regel zu fad und ich muss einen anderen Namen eingeben.

In beiden Fällen, also bei Amazon und bei last.fm, fehlt für mich das Überraschungsmoment, das Neue, das Aufregende, das es zu entdecken gilt. Eigentlich finde ich diese Angebote sehr praktisch, denn bei Büchern bekomme ich z.B. Infos über Neuerscheinungen aus Bereichen, die mich interessieren. Bei last.fm macht es Spaß, die alten Zeiten Revue passieren zu lassen und einen guten Song nach dem anderen anzuhören.

Wechseln wir mal zu Xing. Dort gibt es eine Gruppe Kulturmanagement, in der sich viele KulturmanagerInnen finden lassen. Außerdem gibt es dort eine Gruppe Business Weblogs, deren Mitglieder meist BloggerInnen sind. Die Themen sind klar, es geht in der einen Gruppe um Kulturmanagement, in der anderen um Business Weblogs.

Das Problem dabei: Amazon, last.fm und auch Xing enthalten, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, soziale Elemente. Lapidar ausgedrückt könnte man auch sagen: wir beeinflussen uns gegenseitig.

Ähnliche Gedanken bewegen wohl auch “Foulder”, der das Blog “Die wunderbare Welt…In Chiffren und Zeichen” betreibt. In seinem Beitrag zur NPO-BlogparadeDie Kehrseite des Web2.0-Hypes für den Nonprofit-Sektor” schreibt er, dass das Web2.0 unsere gesellschaftliche Kommunikation verändere und bringt als Beispiel Wikipedia:

“Hier werden von verschiedenen Nutzer(innen)gruppen — den Wikipediandern — einzelne Themen aufgegriffen, kollektiv bearbeitet und so konsensfähige Erkenntnisse produziert, die über das hinausgehen, was sich der oder die Einzelne selbst ausdenken kann.”

Ein paar Zeilen weiter spricht er vom “kleinsten gemeinsamen Nenner”. Konsensfähige Erkenntnisse und kleinster gemeinsamer Nenner, das klingt so nach Mainstream, aber gar nicht nach neuen aufregenden Dingen, nach Innovation. Heißt das, wenn wir da mit Hilfe der Social Media Tools zusammenarbeiten, kommen nur langweilige Dinge dabei heraus?

Charles Leadbeater hat auf der Website zu seinem Projekt We-think geschrieben:

“Participation is not always a good thing: it can just create a cacophony.”

Leadbeater kennt die Gründe, warum die Zusammenarbeit oftmals nicht funktioniert:

“Collaboration is sustained and reliable only under conditions which allow for self organisation. Everywhere we turn there will be struggles between people who want to freely share – music, films, ideas, information – and those who want to control this activity, either corporations who want to make money or governments who fear debate and democracy. This conflict between the rising surge of mass collaboration and attempts to retain top down control will be one of the defining battles of our time (…).”

Das heißt, überall dort, wo jemand etwas kontrollieren will, können so Dinge wie “collaboration” oder “partizipation” nicht funktionieren. Nicht funktionieren in dem Sinn, dass dabei Innovation entsteht. Natürlich ist es nett, wenn ich bei Amazon Buchempfehlungen erhalte, wenn ich bei last.fm eine bestimmte Musikrichtung hören kann und ich mich auf Xing in der Kulturmanagement-Gruppe mit KulturmangerInnen austauschen kann. Ich werde in allen drei Fällen unter Umständen Neues erfahren, aber Innovation findet so nicht statt.

Innovation braucht Heterogenität und dafür muss ich in sozialen Netzwerken wie Xing, Facebook, etc. etwas tun. Ich muss mich mit Leuten austauschen, die im Idealfall aus ganz anderen Bereichen kommen und ganz andere Denkansätze haben. Wenn beide eine offene Haltung haben, dann können sich aus dieser Unterschiedlichkeit Impulse ergeben. Heterogenität kann ich selbstverständlich auch im realen Leben suchen und finden, aber natürlich bietet mir das Internet ganz andere Möglichkeiten.

Stichwort Social Media: hier steht ja der soziale Aspekt im Vordergrund. Im nächsten Schritt geht es aber darum, was ich mir davon erwarte, mit anderen Menschen via Blogs, Twitter, etc. zu kommunizieren und sich auszutauschen, Neues zu lernen und vielleicht dann auch gemeinsam Neues zu entwickeln.

Offenheit ist gefragt und das in zweifacher Hinsicht. Einmal muss ich selbst offen sein gegenüber denen, die mich mit ganz anderen Meinungen, Ansichten und einem ganz anderen Wissen konfrontieren. Wenn es nur darum geht, wer Recht hat, dann wird es schnell langweilig und unergiebig. Werfen Sie mal einen Blick auf den Wikipedia-Eintrag Kulturmanagement und seine Entstehungsgeschichte, dann wissen Sie, was ich meine.

Zweitens müssen die entsprechenden Social Media-Angebote auch offen sein. Abgeschlossene Foren, Gruppen und Räume haben durchaus ihre Berechtigung, gar keine Frage. Aufregende Neuigkeiten oder Überraschungsmomente erlebe ich dort aber eher nicht. Professor Peter Kruse bezeichnet in diesem Zusammenhang harmonische Systeme als “dumme Systeme” . Seine Forderung: “Bauen Sie Systeme, die stören!

Der kleinste gemeinsame Nenner oder konsensfähige Erkenntnisse müssen also gar nicht sein. Es hängt von uns ab und damit lässt sich auch die Frage aus der Überschrift beantworten. Ob durch den Einsatz von Social Media Tools der Mainstream “gefördert” wird oder ob wir sie dazu nutzen, Neues zu lernen und um Systeme zu bauen, die stören, das liegt in unserer Hand. Gefahr droht also nicht von diesen Tools, sondern geht eher von uns selbst aus.


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Kommentare

6 Antworten zu „Qualitätsverlust durch Social Media?“

  1. Auch hier gilt: Eigentlich hat sich nichts im und am Leben geändert. Initiative, Kreativität, Mut, Respekt sind der Stoff aus dem Leben entsteht. Das gilt auch für ein Leben mit Social Media. Die Medien allein machen noch nichts. Erstaunlich dennoch, daß viele Menschen Vorbehalte und sogar Ängste gegenüber solchen Instrumenten entwickeln. Eigentlich brauchen wir doch garkeine Angst davor zu haben. Wir füllen sie erst mir Leben, wir lassen sie erst ihre Wirkung entfalten. Offenheit, Neues lernen, gemeinsam entwickeln. Das sind menschliche Eigenschaften. An denen muß jeder Mensch arbeiten. Das ist alles. So ist Leben. Deshalb freue ich mich über solche Entwicklungen wie Social Media, sie bereichern meine Möglichkeiten.

  2. @Burkhard: Grundsätzlich hast Du Recht, aber ich treffe manchmal Leute, die sind – ich weiß nicht, wie ich es anders bechreiben soll – im realen Leben mutig und denken und agieren sehr unternehmerisch. Im Internet allerdings trauen sie sich gerade mal, eine Email zu verfassen.

    Du schreibst: “Eigentlich brauchen wir doch gar keine Angst davor zu haben.” Angst habe ich vor etwas, was ich, vereinfacht gesagt, nicht verstanden habe. Diese “mutigen” Menschen haben dann das Internet oder Social Media einfach noch nicht verstanden. Ihnen zu sagen, dass sie davor keine Angst haben müssen, reicht meiner Meinung nach nicht aus. Man muss es ihnen zeigen, sie müssen es ausprobieren und dann selber feststellen: tut ja gar nicht weh…. ;-)

  3. Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Ich kann das 100%ig unterschreiben. Bei einer Xing-Gruppe habe ich unter Beratern ähnliches erlebt. Innovation oder gar Kooperation: Fehlanzeige. Eine Gruppe hat eher Vereinscharakter, ist eben kein Netzwerk.

    Das Schöne am Social Media ist, dass jeder Mensch frei entscheiden kann, wem er folgt und wessen Interessen er teilt.

    Social Media ist Sog, statt Druck.

  4. @Horst D. Deckert: “Social Media ist Sog, statt Druck”

    Der Satz gefällt mir… :-)

  5. Ein wichtiges und kritisches Thema! Die Kaufempfehlungen von Amazon ignoriere ich meist und Last.fm nutze ich schon lange nicht mehr.

    Wo es besser funktioniert, sind die Links in Blogs. Da lernt man immer wieder Neues kennen, selbst wenn einige Blogger nicht oder nur kaum nach außen verlinken.

  6. @Matthias Schwenk: Bei Amazon scheinen viele nicht viel darauf zu geben. Es wäre mal interessant herauszufinden, woran das liegt. Mein Entscheidungsprozess ist meist schon soweit, dass ich diese Kaufempfehlungen nicht mehr brauche.

    Aber wie ist das z.B. bei den Hotelbewertungsplattformen. Angenommen jemand möchte ein Hotel buchen und informiert sich noch auf einer solchen Plattform. Wenn da jetzt zehn negative Bewertungen stehen, dann würden mir schon Zweifel kommen, ob ich die richtige Wahl getroffen habe. Natürlich hängt es jetzt noch davon ab, was da kritisiert wird und wie diese Kritik formuliert wird. Aber ich lasse mich in so einem Fall schon beeinflussen. Und das von mir völlig fremden Menschen.

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