© Gerd Altmann; Pixelio
“Gibt es eine eigene Web2.0-Marketingstrategie für Nonprofit-Organisationen?“, fragt Günter Bressau in der der derzeit laufenden siebten Runde der NPO-Blogparade. Eine reizvolle Frage, die wahrscheinlich auch kontroverse Antworten hervorbringen wird. Um sie zu beantworten, ist es hilfreich, wenn man sich überlegt, welche Faktoren eigentlich notwendig sind, um eine Web2.0-Marketingkampagne erfolgreich realisieren zu können.
Ohne Ziele kein Erfolg
Das klingt eigentlich ganz selbstverständlich, aber immer wieder zeigt es sich in Umfragen und Untersuchungen, dass viele Projekte – und darum handelt es sich ja bei einer Kampagne – scheitern, weil es keine konkreten Zielvorgaben gibt. Mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bzw. in den Medien, mehr finanzielle Unterstützung. Die Ziele können vielfältig sein, nur muss es sie halt geben. Und sie sollten, da es sich um operative Ziele handelt, realistisch, messbar, aus eigener Kraft und innerhalb einer bestimmten Zeit erreichbar sein (siehe dazu auch: “Social Media: wann weiß ich, ob ich erfolgreich bin?“)
Damit sie nicht in der Luft hängen, bauen sie auf Mission (“the reason why we exist”) und Vision (“the reason why we must exist in the future”) auf, d.h. die geplante Kampagne trägt dazu bei, dass die Vision irgendwann einmal Wirklichkeit werden kann.
Gibt es in diesem Punkt Unterschiede zwischen Profit- und Nonprofit-Organisationen? Natürlich werden sie sich in der inhaltlichen Ausrichtung voneinander unterscheiden, aber unabhängig davon brauchen beide Strukturen (operative) Zielvorgaben für die Kampagne, die auf Mission und Vision basiert.
Intuition hilft uns, komplexe Situationen zu bewältigen
Ein Ziel auf Papier zu formulieren, ist keine große Kunst. Wenn sich die Realität immer daran halten würde, wäre das Leben ein Wunschkonzert und wir hätten zahlreiche Probleme weniger. Nur leider sehen wir uns permanent vor Situationen gestellt, die so nicht vorgesehen waren. Kooperationspartner springen ab, das Video, mit dem wir die Marketingkampagne promoten wollten, erweist sich als Rohrkrepierer und das, obwohl wir alle im Vorfeld davon begeistert waren. Der Erfolg lässt sich nicht programmieren, weil wir die Faktoren, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden, nicht beherrschen. Eigentlich wissen wir noch nicht einmal, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Wie damit umgehen? Vertrauen wir unserer Intuition, unserer Fähigkeit der emotionalen Bewertung, rät Prof. Peter Kruse in einem sehr sehenswerten Video, das zeigt, dass er damit mehr meint als das reine Bauchgefühl. Ist die Welt für profit- oder nonprofitorientierte Organisationen unterschiedlich komplex? Ich denke, die Unterscheidung macht keinen Sinn, da es wir Menschen sind, die unsere immer komplexer werdende Umwelt nicht mehr “verstehen” können. Das heißt aber auch, wir können die Dinge immer seltener kontrollieren, eine Vorstellung, die vielen Marketingverantwortlichen die Haare zu Berge stehen und sie häufig einen großen Bogen um das Social Web machen lässt.
Keine Kontrolle? Eine neue Unternehmenskultur muss her
In einer Organisation, die hierarchisch strukturiert ist, werden Sie sich wahrscheinlich nicht beliebt machen, wenn Sie darauf hinweisen, wie “gefährlich” eine Web2.0-Marketingkampagne sein kann. Da dürfen wildfremde Menschen mitreden und ihre Ideen einbringen. Da kann Kritik aufkommen, da werden Meinungen und Haltungen aufs Korn genommen und wenn es ungünstig läuft, schadet Ihnen die Kampagne mehr als sie Ihnen nützt.
Allerdings ist es, denke ich, unsinnig, das Social Web erst dann zu betreten, wenn die Organisation eine Web2.0-affine Unternehmenskultur besitzt und Werte wie Transparenz, Vertrauen und Partizipation im Vordergrund stehen. Vielleicht geht von enem Blog oder der Kommunikation via Facebook der entscheidende Impuls aus, der dann alte Strukturen aufbricht und Neues in der Organisation entstehen lässt. Aber zumindest die Bereitschaft zur Veränderung sollte vorhanden sein.
Auch bei diesem Faktor lässt sich aus meiner Sicht nicht sinnvoll zwischen profit- und nonprofitorientierten Organisationen unterscheiden, denn die Kontrolle geben wir wohl alle ungern aus der Hand, zumindest im ersten Reflex. Transparenz, Vertrauen und Partizipation klingen als Schlagworte gut, aber sie wollen erst einmal gelebt werden.
Wo liegen unsere Erfolgspotenziale?
Nun sind wir aber von unseren (Marketing)-Zielen ein ganzes Stück weit abgekommen. Nachdem wir von der Intuition, dem Wandel in der Unternehmenskultur, den fehlenden Kontrollmöglichkeiten gesprochen haben und wissen, dass Vertrauen und Partizipation gerade im Social Web (eigentlich ja nicht nur dort) wichtig sind, wäre es doch schön, wenn es jetzt irgendwo eine praktische Anleitung gäbe, wie man sein (Marketing)-Ziel erreichen kann. So a la “erfolgreiches Marketing in zehn Schritten” oder “Marketingsstrategie für das Web2.0”. Nur funktioniert das leider in der Regel nicht so, wie wir uns das vorstellen. Einzelne Punkte lassen sich natürlich erfolgreich übernehmen, aber Schritt eins bis zehn?
In meinem Beitrag “Was verstehen wir eigentlich unter Strategie?” habe ich auf Aloys Gälweiler hingewiesen, der in diesem Zusammenhang den Begriff des Erfolgspotenzials eingeführt hat. Die Frage ist nicht, wie “man” das erklärte Ziel erreicht, sondern welche Erfolgspotenziale bei einem selbst bzw. in der Organisationsstruktur vorhanden sind, um dieses Ziel erreichen zu können. Für ihn besteht eine Strategie darin, die eigenen Erfolgspotenziale zu suchen, aufzubauen und zu erhalten. Auf der operativen Ebene geht es dann darum, die Erfolgspotenziale zu realisieren.
Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass es die Web2.0-Marketingstrategie eigentlich nicht geben kann, weder für die NPOs noch die gewinnorientierten Unternehmen. Marketing im Social Web basiert meinem Verständnis nach auf den bisher genannten Faktoren (drei weitere folgen noch), aber als Strategie würde ich das nicht bezeichnen, höchstens als Meta-Stategie. Aber das sind Wortspielereien…
Agilität statt starrer Pläne
An dieser Stelle kommt ein weiteres wichtiges Attribut ins Spiel, das nicht nur im Social Web immer wichtiger wird: Flexibilität. Angenommen, wir haben unsere Erfolgspotenziale gefunden und machen uns nun daran, sie zu realisieren, dann gilt es natürlich, diese Umsetzung auch zu planen, womit wir beim Thema Projektmanagement angekommen sind.
Sich auf Intuitionen zu verlassen, keine Kontrollmöglichkeiten zu haben und andere an Entscheidungen teilhaben zu lassen, bedeutet, dass eine starre Planung, die die Schritte eins bis x zur Erreichung meines Zieles darstellt, eigentlich unsinnig ist. Die Hauptarbeit würde darin bestehen, die Pläne ständig zu ändern. Daraus den Schluss zu ziehen, dass Pläne daher unsinnig sind, sind aber nicht zulässig und daher falsch. Hier kommt der Ansatz des agilen Projektmanagements ins Spiel. Dahinter verbirgt sich, wie Bernd Oesterreich und Christian Weiss in ihrem Buch APM – Agiles Projektmanagement: Erfolgreiches Timeboxing für IT-Projekte
“eine Ende der 1990er-Jahre entstandene Gegenbewegung zu den überreglementierten und starren Ansätzen der 1980er- und 1990er-Jahre”.
Der Ansatz des agilen Projektmanagements wird deutlich, wenn man sich das agile Manifest durchliest, in dem es auf die Softwareentwicklung bezogen heißt:
- “Individuen und Interaktion sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge
- Funktionierende Software ist wichtiger als umfangreiche Dokumentation
- Kooperation mit Projektbetroffenen ist wichtiger als Vertragsverhandlungen
- Reaktion auf Änderung ist wichtiger als Festhalten an einem starren Plan.”
Wenn wir jetzt statt der funktionierenden Software von einzelnen Maßnahmen sprechen, die im Rahmen unserer Web2.0-Marketingkampagne umgesetzt werden sollen, wird schnell deutlich, dass die Grundidee darin besteht, möglichst schnell etwas auszuprobieren und herauszufinden, ob etwas funktioniert oder nicht. Wichtig: es geht nicht darum, auf die Dokumentation zu verzichten, ganz im Gegenteil, sondern erst einmal zu schauen, ob etwas funktioniert oder nicht.
Beschränkt sich agiles Projektmanagement auf den kommerziellen Unternehmensbereich? Oder können auch NPOs mit diesem Ansatz arbeiten? Ich denke, auch hier gibt es keinen Grund, eine Unterscheidung vorzunehmen. Bis jetzt sind es also dieselben Faktoren, die zum Erfolg einer Web2.0-Marketingkampagne beitragen, unabhängig davon, ob wir es mit einem NPO oder einem gewinnorientierten Unternehmen zu tun haben.
Umsetzungsstärke: den Online-Erfolg offline realisieren
Bei diesem Begriff tue ich mir am schwersten. Unter Umständen gibt es andere Begriffe, die das, was ich ausdrücken möchte, sehr viel besser beschreiben. Worum geht es mir? Ich denke, eine Kampagne kann im Social Web äußerst gut ankommen und ein großer Erfolg werden. Aber als Museum, Theater oder Orchester (ich darf den Kunst-und Kulturbereich stellvertretend für die NPOs verwenden) geht es mir ja letzten Endes darum, dass z.B. mein Zuschauerraum voll gefüllt ist, d.h. ich muss es schaffen, den Online-Erfolg in das reale Leben zu transferieren. Gelingt mir das nicht, bleiben meine Social Web-Aktionen reiner Selbstzweck, sie führen letzten Endes zu nichts. Für mich stellt sich die Frage, ob wir so gesehen überhaupt von Web2.0-Marketing sprechen können? Geht es nicht letzten Endes um die Verknüpfung der Online- und Offline-Welten?
Und auch hier macht es keine Sinn, zwischen profit- und nichtprofitorientierten Unternehmen zu trennen, denke ich, denn sie alle sind in der realen Welt verankert und wollen dort ihre Produkte und Dienstleistungen anbieten bzw. ihre Werte und Haltungen kommunizieren.
Der Freak-Faktor
So und ganz zum Schluss kommt der wichtigste Faktor. Der, der den vielleicht entscheidenden Unterschied ausmacht zwischen Ihnen und der Konkurrenz. In meinem Beitrag “Social Media Einsatz im Kunst- und Kulturbereich: was der Bauer nicht kennt…?” hatte ich Allen Benamer erwähnt, der der Meinung ist, der NPO-Bereich würde mangels ausreichender Kenntnisse den gesamten IT-Bereich vernachlässigen. Und wie hat es Frank Tentler so schön formuliert? “Was der Bauer nicht kennt,…”.
In einem Interview auf dem stART.09-Blog spricht Benedikt Köhler im Hinblick auf den Einsatz von Social Media von einer Technik, einer Technik, die man lernen kann. Aber es gehört, denke ich, noch etwas mehr dazu als die Technik. Nennen wir es Begeisterung, Enthusiasmus oder eben den Freak-Faktor, der ein Weblog erfolgreich sein lässt und das andere nicht. Auch ein Blog kann verwaltet werden. Ich denke, Sie alle kennen genug Beispiele, bei denen es sich zwar um ein Blog handelt, aber keines, in dem Leben herrscht, das einen anspricht.
In dieser Hinsicht sehe ich am ehesten einen Unterschied zwischen dem Profit- und dem Nonprofit-Bereich. Wobei ich meine Aussage auf den deutschsprachigen Raum beschränken möchte. Und auch da gibt es natürlich Ausnahmen. Vielleicht liege ich ja auch falsch mit meiner Einschätzung, aber ich habe das Gefühl, NPOs haben mehrheitlich die Bedeutung des Social Web noch nicht erkannt bzw. verstehen es einfach noch nicht (damit will ich nicht sagen, dass das Thema im Unternehmensbereich schon wirklich angekommen ist).
Mittlerweile gibt es zwar eine steigende Zahl von NPOs, die ihr Glück im Web2.0 versuchen, aber oft habe ich den Eindruck, hier wird damit begonnen, weil andere das auch machen. Und innerlich wartet man nur darauf feststellen zu können, dass da eh Unsinn sei.
Vielleicht sollten NPOs (und dazu zähle ich auch die Kunst- und Kulturbetriebe) sich so einen Social Web-Freak suchen und ihn mal machen lassen? Natürlich unter Einbeziehung der oben genannten Faktoren. Dazu gehört Vertrauen, gar keine Frage. Aber wäre es nicht mal einen Versuch Wert? Zum Beispiel eine Marketingskampagne im Social Web zu starten und all die Tools zu nutzen, die dort zur Verfügung stehen?
Von einer Web2.0-Marketingkampagne würde ich sprechen, von einer Strategie im traditionellen Sinn eigentlich nicht. Was meinen Sie?
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