Vor mehr als vierzig Jahren schrieben William J. Baumol und William G. Bowen den Klassiker “Performing Arts – The Economic Dilemma” , in dem sie konstatierten, dass in diesem Bereich Produktivitätssteigerungen nicht möglich seien, um den Anstieg der Kosten aufzufangen. Diese Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben wurde im Laufe der Jahre immer größer und lässt sich, zumindest in unseren Breitengraden, nur durch öffentliche Förderungen schließen.
Wie es um die öffentlichen Haushalte bestellt ist, wissen wir alle. Was das für die Theater bedeutet auch, denn Armin Klein hat in seinem Buch “Der exzellente Kulturbetrieb” festgehalten, dass bei den deutschen Theatern in der Spielzeit 2003/2004 die öffentlichen Zuwendungen 83,4% der gesamten Einnahmen ausmachten. Zwei Jahre später lag dieser Anteil laut der Statistik des deutschen Bühnenvereins immer noch bei knapp 82%.
In den USA stellt sich die Situation etwas anders dar (siehe dazu meinen Beitrag “Wie sich Kunst finanziert“), aber von den Ticketeinnahmen können die Theater, abgesehen von den Broadway-Bühnen, auch nicht leben. Während bei uns höchstens der Ruf nach höheren Förderungen laut wird, beschäftigen sich in den USA verschiedene Blogautoren mit möglichen Modellen der Theaterfinanzierung. Einen sehr interessanten Ansatz hat Chris Ashworth entwickelt. In seinem Beitrag “Toward A New Funding Model for Theater” stellt er die Frage,
“How far away is the current theatrical model from representing a successful for-profit business?”
Die Theater würden, so schreibt er weiter, ca. 25 bis 40% ihrer Einnahmen über den Ticketverkauf generieren. Würden sie das ändern wollen, sähe das so aus:
“Let’s say I’ve got a 100 seat theater. Let’s say I’ve got 10 people in my company. Let’s say I want to pay them each 50K a year. Let’s say I run shows Thursday, Friday, Saturday, and Sunday, that each show I produce runs a month, and that I do six shows a year. A solid schedule. That makes 96 days a year I’m opening my door, or 9600 seats I can possibly sell. If I sell every single one of those seats, I’d have to sell them at over fifty bucks a ticket to pay my company members, and I’d have nothing left for rent, production costs, or anything else.”
Um also nur die Personalkosten decken zu können, müssten in diesem Fall die Tickets über 50 USD kosten. Bei einem solch hohen Preis wäre wahrscheinlich die Nachfrage gering, d.h. das Theater bliebe auf seinen Karten sitzen.
Überhaupt hält er den Verkauf von Tickets in der jetzigen Form für überholt. So stellt dieses System für ihn ein Transaktionsmodell aus dem Industriezeitalter dar (Ashworth verweist in diesem Zusammenhang auf das Blogpost “Pay Attention! If Selling Tickets Is Your Business Model, You’ve Got A Problem” von Douglas McLennan). Zwei weitere Einwände:
- “If we pay undue attention to commercial metrics like ticket sales, aren’t we missing the point of our mission as a theater?
- Doesn’t the entire concept of tickets inherently damage the arts, by dividing us into art producers and art consumers?”
Trotzdem steht er dem Prinzip künstlerische Erfahrung im Austausch gegen Geld nicht ablehnend gegenüber (einen völlig anderen Weg formuliert Lewis Hyde etwa in seinem Buch “Die Gabe” ; siehe dazu meine Beiträge “Von „Business Skills“, Nutzendenken und der Kunst” und “Kunst und die Marktwirtschaft“), denn
“it is not a bad thing for me to measure how many people experience my art.”
Den in meinen Augen entscheidenden Grund formuliert Ashworth so:
“Your artistic risks should be buffered by the strength of your connection to your audience, not by your financial independence from them.”
Das heißt, statt sich von den Zuschauereinnahmen unabhängig zu machen und stattdessen auf – in unserem Fall – öffentliche Förderungen zu setzen, schlägt er den umgekehrten Weg vor. Allerdings gilt es dabei, die Idee des Ticketverkaufs neu zu erfinden, wie er schreibt.
Wenn wir heute ein Ticket für eine Aufführung im Theater kaufen, dann bekommen wir als Gegenleistung das “künstlerische Endprodukt” zu sehen. Damit stehen die Tickets, so Ashworth, für ein Nebenprodukt, denn “Art is about the process”. Das heißt, vom eigentlichen künstlerischen (Entwicklungs)-Prozess bekomme ich trotz Ticketerwerb gar nichts mit. Dieser Prozess enthält für Außenstehende spannende, aber auch langweilige Momente. Für ein Theater besteht die Herausforderung darin, den Produktionsprozess so zu designen, dass es gelingt, zu den Zuschauern eine Beziehung aufzubauen.
Das heißt, das Ticket steht nicht mehr für das Endprodukt, die Aufführung, sondern ist die Eintrittskarte zu einer Community (siehe dazu Chris Brogan: “Audience or Community“). Oder mit den Worten Ashworths:
“(…) tickets transform from an artifact of a transaction into an artifact of a relationship.”
Bezahlt wird nicht für ein fertiges Produkt, sondern für “Access
“It means you sell memberships, not tickets. It means that if I pay you ten bucks a month, I get access. I can visit every rehearsal. I get a guaranteed ticket to every show you do.”
Am Ende steht dann so etwas wie ein monatlicher Mitgliedsbeitrag und nicht mehr das Ticket für die Aufführung eines bestimmten Stückes an einem bestimmten Tag.
Da Chris Ashworth hauptberuflich mit der Entwicklung von Softewareprodukten zu tun hat, erkennt er das Potenzial der Technologien, die uns heute bereits zur Verfügung stehen:
“Live stream your shows. Post daily rehearsal photos on Twitter. Invest in a qualified videographer, and use the hell out of them. Build a living production document of every show online. Let your audience see how a scene is evolving from rehearsal to rehearsal with a quality video record of the evolution. Annotate each clip with a description of the director’s instructions, of the actor’s new choices, of the salient theatrical choices that made this version of the scene different from the last version. Put them up in a timeline. Let us see the process unfold, even when we can’t be in the room. Let me see how a scene is taken from a written blueprint to a live performance. Edit out the boring stuff.”
Ein entscheidender Faktor ist für ihn, dass die Mitglieder dieser Community dann auch an Entscheidungs- bzw. Entstehungsprozessen teilhaben und ihre Gedanken, ihre Kreativität einbringen können. Aber:
“I’m not saying you should run your theater by popular vote, I’m saying give your audience a chance to affect what you do.”
Dieses Modell führt dazu, dass ein Theater sein finanzielles Risiko minimieren kann, denn statt der von Ashworth als Beispiel angeführten 96 Aufführungen pro Jahr, kann es an 365 Tagen im Jahr Geld verdienen.
“Well, instead of selling 9600 tickets at 52 bucks a pop just so we can cover salary, we get to focus on signing up 4200 members at 10 bucks a month for the same result. We’re asking a lot fewer people for a little more money, and we’re giving them a lot more art in return”,
schreibt er. Das Ergebnis: statt die Zeit damit zu verbingen, öffentliche Förderungen zu beantragen, könne sich ein Theater um seine Community, um den Aufbau von Beziehungen kümmern.
Wenn Ashworth meint, dass die Mitglieder der Community an den Prozessen beteiligt werden sollen, dann werden wahrscheinlich bei manchen die Alarmglocken schrillen. Ashworth trennt aber weiterhin zwischen den Künstlern, also den Experten, und dem Publikum. Die Trennung zwischen Produzent und Konsument ist also nur im Ansatz aufgehoben.
Sehr viel weiter geht Scott Walters, der in seinem Blogpost “(Netflix + YouTube) / (time = money)” das Modell Ashworths aufgreift und um die, ich würde sagen, Web 2.0-Komponente erweitert.
Für Walters bedeutet das Social Web, der User kann aktiv werden, Stichwort user-generated-content. Und genau diesen Punkt möchte er dem Modell hinzufügen. Auch Scott Walters ist für eine monatliche Gebühr (wie sie das von ihm genannte Videoportal Netflix anbietet), allerdings sieht er vor allem bei kleinen Bühnen das Problem, dass diese nicht über genügend Content verfügen. Das heißt, es bedarf einer Ergänzung, auf die z.B. YouTube setzt, wie er schreibt.
YouTube erfüllt seiner Meinung nach zwei Funktionen. Zum einen kann man dort seine eigenen künstlerischen Werke vorstellen. Auf der anderen Seite ermöglicht man es anderen, das dort online gestellte Werk weiter zu entwickeln. Auf das von Ashworth entwickelte Modell heißt das, dass wir nicht nur die Werke der Künstler zur Verfügung haben, sondern auch die der Community. Damit wäre nach Walters Vorstellung das Problem der fehlenden Inhalte gelöst. Das die von unterschiedlicher Qualität sein können, stört Walters nicht, denn
“The artistic staff’s job is not to serve as gatekeepers, but rather to encourage community creativity and to provide as much variety as possible. The artists can lead through their own work,of course, providing things to aspire to. And they can (and should) help improve skills through teaching as well as facilitation. But if you buy a monthly membership, you are buying a chance to be a creator”,
schreibt Walters weiter. Das Ziel formuliert er so:
“The goal is to keep the space humming with activity, beacuse ultimately the priority is the creation of community, or what Robert Putnam calls social capital.”
Einen Haken hat dieses Modell aber noch, denn die Nachfrage wird ja nicht automatisch generiert, wie auch die vielen ungesehenen Videos auf YouTube beweisen. Das heißt:
” (.) if your goal is to get as many people spending face-to-face time together as possible, if you want people to try out a variety of arts events, then there needs to be a little extra motivation.”
Seine Idee: nur wer die Angebote nicht in Anspruch nimmt, zahlt die volle Monatsgebühr. Für jeden “Besuch” gibt es also eine Art Rabatt. An dieser Stelle wird dann auch die Überschrift des Beitrags “(Netflix + YouTube) / (time = money)” verständlich.
Nun könnte man vielleicht noch einen Schritt weitergehen und es den Mitgliedern der Community überlassen, welchen Betrag sie zahlen wollen. Ich denke, die katholische Kirche ist dafür ein schönes Beispiel (auch im Sinne des Community-Building; darauf gebracht hat mich Adam Thurman mit seinem Beitrag “Saving Souls“), die ja – mal abgesehen von der Kirchensteuer – auf das Prinzip des freiwilligen Gebens setzt. Von der Kollekte bis zur Erbschaft, die ihr vermacht wird.
Vor diesem Hintergrund kann man dieses Modell auch als einen interessanten Crowdfunding-Ansatz begreifen. Statt der öffentlichen Förderung, bei der das Risiko der Ablehnung sehr groß sein kann, verteile ich das Risiko auf die vielen Mitglieder der Community. Interessant ist die Frage, wie hoch z.B. die monatliche Gebühr anzusetzen wäre? Nach welchen Kriterien lässt sich das entscheiden?
Diese Fragen lassen sich sicher am nächsten Online-Webmontag diskutieren, der am 23. November 2009 um 19 Uhr stattfinden wird und sich mit dem Thema “Crowdfunding & Online Payment” beschäftigen wird. Wenn Sie Lust und Zeit haben, seien Sie doch einfach online dabei. Informationen, Link und Anmeldungsmöglichkeit finden Sie hier.
Darüber hinaus interessiert mich aber nun aber natürlich Ihre Meinung zu diesem Ansatz oder Modell. Was halten Sie davon? Wo sehen Sie Probleme, welche Ergänzungen sind nötig oder lässt sich so etwas bei uns Ihrer Meinung nach gar nicht umsetzen?
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