Am 13. April 2016 fand im Münchner Literaturhaus eine von der Kulturgipfel GmbH und der Bayern Tourismus Marketing GmbH organisierte Konferenz statt, die sich mit der Zukunft des Kulturtourismus beschäftigte. Ich habe mich gefreut, dort das Thema “digitale Erlebnisräume” vorstellen zu dürfen, um aufzuzeigen, welches Potenzial die Verbindung analoger und digitaler Räume aufweist. Dank einer Reihe hochklassiker Vorträge habe ich aber auch viele neue Anregungen und Ideen mit nach Hause nehmen können. Umso mehr freut es mich, dass vor wenigen Tagen die Dokumentation der Konferenzvorträge online gestellt worden ist, um nicht nur mir, sondern auch all denen, die nicht dabei waren, die Möglichkeit zu geben, die einzelnen Vorträge (nach-)zulesen.
Von “Sightseeing-Punktesammlern im Selfiemodus” und “Destinationseintauchern im Mitschwimmmodus”
Drei Vorträge möchte ich dabei herausgreifen, weil sie nicht nur dabei helfen, den Kulturtourismus neu zu denken, sondern auch interessante Gedanken für den Kunst- und Kulturbereich enthalten. Dr. Martin Spantig, der den Tag mit seinem Vortrag begann, stellte die These auf, dass es zukünftig zwei Hauptgruppen geben werde, die kulturtouristische Angebote nachfragen. Da sind einerseits die, wie er es so schön nannte, “Sightseeing-Punktesammler im Selfie-Modus”, für die die Kunst in den Hintergrund tritt, denen es darum geht “Punkte zu sammeln”. Profitieren werden davon die kulturellen Highlights, bekannte Häuser, bekannte Namen, alle anderen sind für diese Zielgruppe weniger interessant. Für Spantig bedeutet das:
“Der Tourismus nutzt also bei dieser Zielgruppe die kulturellen Oberflächen zur Gästegewinnung.”
Auf der anderen Seite finden wir die “Destinationseintaucher im Mitschwimmmodus”, deren Zahl auch weiter steigen werde. Spantig versteht darunter Reisende, die nach dem Motto “feel like a local” unterwegs sind und “Teilzeitbürger der jeweiligen Destination” werden wollen.
Beide Gruppen sind für den Kunst- und Kulturbereich interessant, die erste Gruppe wohl eher für die Tanker in der kulturellen Landschaft, die zweite für die eher kleineren Schiffe. Dass Spantig mit seiner Sichtweise durchaus richtig liegt, zeigt die Entwicklung, die bei Airbnb zu beobachten ist. Mit der App “Airbnb Trips” wird es für Reisende bald möglich sein, vorab die komplette Reise zu organisieren. Wenn es um den Kauf eines Produktes geht, sprechen wir von der Customer Journey, was hier auch durchaus passt, wenn wir den Urlaub als das Produkt betrachten. Der Besuch eines Museums oder Theaters ist dann einer der vielen Touchpoints auf dieser Reise. Gerade in ländlichen Regionen gibt es jede Menge solcher Touchpoints bzw. kultureller Attraktionen. Die Herausforderung besteht für Spantig in der Vernetzung, um gemeinsam Angebote zu entwickeln, die auf das Interesse der Reisenden stoßen.
So ähnlich könnten Kultureinrichtungen, denke ich, auch das Thema App angehen. Nicht nur aus finanziellen Gründen macht es für mich Sinn, dass sich Kultureinrichtungen Partner dafür suchen. Das können auf der einen Seite Anbieter mit gleichen oder ähnlichen Angeboten sein, zum Beispiel alle Museen einer Region. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich an der Customer Journey zu orientieren und Partner aus ganz anderen Bereichen und Branchen zu finden, also etwa der Bereich Gastronomie, schließlich besuchen viele Menschen rund um ein kulturelles Event Lokale.
Kulturelle Angebote als “buchungsauslösende Faktoren?
Wie finde ich aber heraus, was die Menschen rund um mein Angebot machen? Kommen sie vom Shoppen oder besuchen sie anschließend ein Lokal? Kultureinrichtungen können sich auf Vermutungen verlassen, sie können ihre Besucher befragen, sie können aber auch auf Daten setzen. Das heißt, ich möchte möglichst viel über meine BesucherInnen erfahren, um dann die entsprechenden Angebote schnüren zu können. Ganz konsequent geht man in dieser Hinsicht bei TUI Cruises vor. Dr. Thomas Schmidt-Ott, der früher als Manager klassischer Orchester sein Geld verdiente und heute beim Anbieter von Kreuzfahrten TUI Cruises dem Bereich Arts & Entertainment vorsteht, zeigte, wie Unternehmen dank der digitalen Revolution an die für sie so wichtigen Kundendaten kommen.
Für viele, die im Kunst- und Kulturbereich arbeiten, mag die Frage, ob kulturelle Angebote heute noch “buchungsauslösende Faktoren” sein, eine Provokation sein, vor allem, wenn Schmidt-Ott noch ein Schäufelchen nachlegt und die Vermutung äußert, dass es wohl eher ein Motivationsmix aus “Service, Kulinarik, Design, Medical Wellness und Authentizität” sei. Aber zumindest auf den Kreuzfahrtschiffen scheint das so zu sein, obwohl dort das kulturelle Angebot gar nicht so klein ist. Auf “Mein Schiff 5” kann ich als Gast (oder sagt man noch Passagier?) 365 Tage im Jahr Dieter Hallervorden, Ute Lemper oder Jan Vogler bewundern, allerdings nur als Hologramme. Wie kommt der Konzern zu diesem Programm?
“Bei TUI Cruises wird das Schiff um die Wünsche der Gäste herum gebaut, und diese Wünsche tracken wir pausenlos und überall”,
so Schmidt-Ott, der daran anschließend auf eine Studie verweist, laut der es dem Massenpublikum an Bord so eines Schiffes nicht um eine aufwendige und höherwertige Kulturrezeption, sondern um eine entspannte Atmosphäre gehe. Die Frage ist, ob sich diese Präferenzen auch auf den Alltag all dieser Menschen übertragen lassen? An Bord des Schiffes wird jeder Schritt, jede Aktivität getrackt und zwar mit Hilfe einer Smartphone-App, die dank des auf dem Schiff angebotenen WLANs immer online ist und es dem Anbieter ermöglicht, die Angebote entsprechend der Nachfrage zu steuern.
Diese smarten Gäste könnten ihr Smartphone zwar weglegen,
“aber das wollen sie gar nicht, haben sie doch durch das Smartphone immer die Gelegenheit, das Programm an Bord zu verfolgen, Fotos zu machen, Erlebnisse zu posten”,
weiß Schmidt-Ott, dem es sichtlich Spaß machte, während seines Vortrags zu provozieren. Spaß, genauer gesagt um die “Atmosphäre des Spaßes” geht es den Betreibern der Schiffsflotte, nicht um die Kulturschätze, die während der Reise zu besichtigen sind. Dass dieser Ansatz funktioniert, weiß man auch deshalb, weil sich Schmidt-Ott und seine KollegInnen sehr präzise Gedanken darüber machen, wer denn ihre Gäste sein sollen und eine entsprechende Segmentierung in der Zielgruppenansprache (und der Einrichtung ihrer Schiffe) vornehmen.
Für mich war das an diesem Tag der Vortrag, der für mich am meisten Fragen aufwarf. Erstens machte er deutlich, dass es – auch für Kultureinrichtungen – extrem hilfreich ist, möglichst viele Daten über die eigenen KundInnen/BesucherInnen zu sammeln, diese zu analysieren und daraus dann auch Schlussfolgerungen zu ziehen. Zweitens müssen sich die Anbieter kultureller Angebote die oben schon angesprochene Frage nach den Präferenzen ihrer Zielgruppen stellen und darauf passende Antworten finden. Ob es um Spaß, eine entspannte Atmosphäre oder den Wunsch, sich mit anspruchsvoller Kunst auseinanderzusetzen, geht, muss hier nicht geklärt werden. Das lässt auf der Basis von Daten herausfinden. TUI Cruises sammelt diese Daten und entwickelt auf deren Grundlage ein Angebot, das sich möglichst gut verkaufen soll. Auch Kultureinrichtungen sollten Daten sammeln und diese dann analysieren. Die Konsequenz ihres Handelns ergibt sich dann aus ihren eigenen Zielen, das heißt, es geht mir um die Vorgehensweise und nicht darum, ein Kreuzfahrtschiff mit einem Museum zu vergleichen. Wobei es spannend wäre herauszufinden, ob die Erwartungshaltungen in beiden Fällen so unterschiedlich sind.
Der Tourismus als Treiber für Audience Development und Kulturvermittlung
Kann es nicht vielleicht doch sein, dass Menschen während ihres Urlaubs in Sachen Kunst und Kultur auf den Geschmack kommen? Prof. Dr. Birgit Mandel beschäftigte sich im Rahmen ihres Vortrags “(Massen)-Tourismus als Chance für Audience Development und kulturelle Bildung?” mit diesem Thema und gab sich überzeugt, dass das Zusammenspiel von Kunst, Kultur und Tourismus positive Auswirkungen habe. Mandel, die an der Universität Hildesheim am Institut für Kulturpolitik den Fachbereich Kulturvermittlung leitet, sprach in ihrem Vortrag über die “Zukunft des Kulturtourismus (…) als zentraler Motor für kulturelle Bildung und Kultur-Entwicklungsplanung von Institutionen und Regionen”. Mandel gab sich davon überzeugt, dass der Tourismus ein wichtiger Treiber für die Bereiche Audience Development und Kulturvermittlung sei. Verschiedene Studien würden zeigen, so Mandel, dass Kultur eine immer wichtigere Rolle bei touristischen Trends spiele, denn
“(i)n der Rolle des Touristen werden viele Menschen zu Kulturbesuchern, die in ihrem Alltag keine kulturellen Angebote wahrnehmen”.
Zwar gehörten nur 5 Prozent aller Touristen zu den spezifisch Kulturinteressierten, jedoch würden 80 Prozent aller Urlauber kulturelle Angebote wahrnehmen oder kulturelle Sehenswürdigkeiten besichtigen. Die so gemachten Erfahrungen könnten zum Auslöser für eine nachhaltige Beschäftigung mit Kunst und Kultur im “Alltag” werden. Viele Kulturinstitutionen haben nach Mandels Ansicht die wichtige Rolle des Tourismus erkannt und mit Veränderungen darauf reagiert:
“Der Ansturm touristischer Besucher, die in ihrer Sozialstruktur ein deutlich diverseres Spektrum der Bevölkerung widerspiegeln als die üblichen,in der Regel hochgebildeten, sozial privilegierten Kernkulturnutzer, führt im besten Fall dazu, dass Kultureinrichtungen die Präsentation, Kommunikation und Vermittlung ihrer Programme verändern.”
Urlauber, die ihre Reisen für “kulturelle Selbstbildungsprozesse” nutzen und “neue kulturelle und ästhetische Erfahrungen” sammeln, das stimmt dann doch zuversichtlicher als Schmidt-Otts Bild des Touristen, der an neuen Erfahrungen nur mäßig interessiert ist. Das Problem: Es gibt sie beide. Es gibt sowohl den “Sightseeing-Punktesammler im Selfie-Modus” als auch den “Destinationseintaucher im Mitschwimmmodus”. Wir haben es mit Menschen zu tun, denen im Urlaub Spaß wichtig ist und es gibt die Urlauber, die die in der Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur gemachten Erfahrungen in ihren Alltag zu übertragen versuchen.
Sowohl aus Vermittlungs- als auch aus Marketingsicht müssen sich Kultureinrichtungen entscheiden, wenn sie mit ihren Angeboten erreichen wollen. Möchten sie beide ansprechen, muss das auf unterschiedlichen Wegen passieren, womit wir beim Thema Daten sind. Ich denke, wir wissen noch viel zu wenig über die, die Kunst und Kultur konsumieren. Wir wissen aber noch viel weniger über die, die sich nicht dafür interessieren.
Die Verbindung von Tourismus und Kultur scheint eine sehr hilfreiche zu sein, für beide Seiten. Zumindest war das der Grundtenor dieser Konferenz, die neben diesen drei Beiträgen, die ich hier kurz angerissen habe, noch weitere anregende Vorträge bot. Deshalb kann ich Ihnen nur empfehlen, sich für die Dokumentation der Konferenz ein wenig Zeit zu nehmen. Das PDF finden Sie hier.
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